Verlockendes Dunkel
gewollt hätte?« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Was habe ich getan?«
»Lissa …«
»Du sollst mich nicht so nennen, verdammt noch mal! Du hast mir heute Abend versprochen, morgen früh nicht mehr hier zu sein.«
Brendan, der noch immer ihren Geschmack auf der Zunge und ihren Duft in der Nase hatte, nickte kurz. »Und das werde ich auch nicht. Mach’s gut, Elisabeth! Wenn das Schicksal mir wohlgesonnen ist, werde ich dich nie wieder belästigen.«
Fortzugehen war weitaus schwieriger, als er je gedacht hätte. Aber zu bleiben war unmöglich.
Kapitel Fünf
E lisabeth schnitt sich ein Stück Kuchen ab und leckte den Zuckerguss vom Messerrücken. Eine gründlichere Durchsuchung der Küche förderte noch eine Dose Pfefferkuchen und eine Schachtel kandierter Aprikosen zutage. So viel zu den jüngsten Änderungen ihres Hochzeitskleides.
Mit dem Teller Leckereien ging sie in den vorderen Salon, in dem ein anheimelndes Feuer brannte, und setzte sich in einen bequemen Sessel, um sich mit den letzten Kapiteln von Der Baron von Falkenberg eine Atempause von ihren Grübeleien zu gönnen. Doch weder die hochdramatischen Ereignisse zwischen den Seiten noch die süßen Freuden auf ihrem Teller vermochten ihre aufgewühlten Gedanken zu beruhigen.
Morgen würde sie Gordon heiraten. Ohne weitere Bedenken oder Rückzieher. Auf gar keinen Fall wollte sie die Demütigung einer zweiten aufgelösten Verlobung erleben. Den fürchterlichen Klatsch und die vielsagenden Seitenblicke hatte sie schon einmal hinnehmen müssen; sie würde sie kein zweites Mal durchstehen.
Aber Brendans unerwartetes Erscheinen hatte einige hässliche und unbequeme Wahrheiten ans Licht gebracht. Teile ihres Herzens gehörten noch immer dem brillanten, quecksilbrigen Jungen aus ihren Jugendtagen. Und nun war er wieder wie eine Bombe in ihre Welt eingeschlagen, hatte lang begrabene Hoffnungen geweckt und war in einer unheimlichen Wiederholung seines Verschwindens vor sieben Jahren auch jetzt wieder verschwunden. Ohne ein Wort oder eine Spur zu hinterlassen. Als hätte er sich in einer Wolke schwarzen Rauches aufgelöst.
Was durchaus im Bereich des Möglichen lag, wenn man bedachte, wer und was er war.
Im Kamin tanzten die Flammen, und ein leichter Windhauch ließ die Kerze flackern. Schatten krochen über die Wände und bildeten Figuren und Gestalten in dem bewegten mitternächtlichen Dunkel. Das Gefühl, dass sich unmittelbar außerhalb ihrer Sicht Gespenster und andere Kreaturen in den nicht erhellten Teilen des Raumes aufhielten, ließ Elisabeths Herz schneller schlagen, bis es beinahe schmerzhaft hart gegen ihre Rippen pochte. Ihre Kehle wurde eng, als sie versuchte, das Rascheln eines Kleides oder Flattern eines Flügels aufzufangen. Ein Zurückziehen des Vorhangs zwischen der normalen Welt, in der sie lebte, und den faszinierenden Unmöglichkeiten, die Brendans Leben zugrunde lagen.
Kam diese Überzeugung von den Geschichten ihrer Großmutter über Ynys Avalenn , das Sommerreich der Feen und Magier, und die Wunder, die dort zu finden waren? Oder war es ein Ergebnis des immerwährenden Spagats ihrer Familie zwischen Anderen und Duinedon? Diese andere Welt anzuerkennen, ohne sie zu akzeptieren?
Ihr Magen verkrampfte sich vor Nervosität, und eine Gänsehaut überkam sie, als ein Windhauch den Kragen ihres Morgenrocks zum Flattern brachte. Die Kerze flammte auf, um dann in einem dünnen Strom von beißendem Rauch zu erlöschen. Nur das Feuer im Kamin spendete jetzt noch ein wenig Licht.
Elisabeth stockte der Atem, und ihr blieb fast das Herz stehen, als sie in der angespannten Stille einen leisen Schritt vernahm. Das Quietschen eines Türknaufs und das Knarren der sich öffnenden Tür ließen Elisabeth erstarren und die Luft anhalten. Doch es war weder ein Gespenst noch ein Dämon, der mit Nachthaube und Morgenrock bekleidet in der Tür erschien.
»Tante Fitz«, seufzte Elisabeth. »Du hast mich fast zu Tode erschreckt.«
Ihre Tante betrachtete vorwurfsvoll den Teller neben Elisabeths Sessel, sagte aber nichts dazu. »Kannst du nicht schlafen, Kind?«
Elisabeth zuckte mit den Schultern. »Es waren ein paar … anstrengende Tage. Doch morgen wird endlich alles vorbei sein.«
Tante Fitz kam zu ihr und setzte sich in den Sessel ihr gegenüber. In ihrer Nachtkleidung wirkte sie kleiner, schmaler und älter als gewöhnlich, und Elisabeth wurde wieder einmal bewusst, wie sehr sie ihre Tante liebte. Trotz ihrer kratzbürstigen Art war Tante Fitz
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