Verlockendes Dunkel
»Wenn er so verdammt besorgt war um Elisabeth, warum ist er dann nicht selbst zurückgekehrt, um sie zu holen?«
Der Hund hob nicht einmal den Kopf, obwohl er Brendan unablässig ansah.
»Na schön. Die Verantwortung für Elisabeth liegt bei mir, doch lass mich meinem Ärger wenigstens Luft machen, ja? Das hält mich warm.« Und es gab ihm auch noch etwas anderes zu tun, als sich zu fragen, wie er Elisabeth etwas erklären sollte, was ihr wie das schändlichste Verbrechen vorkommen musste.
»Wie soll ich ihr begreiflich machen, dass es nur zu ihrem eigenen Besten ist? Dass das Letzte, was ich will oder brauche, eine unfreiwillige Begleiterin ist? Dass ich sie nur zu gern nach Dun Eyre zurückbringen würde, wenn das nicht ihren Tod bedeuten würde? Dass ich im Grunde gar nicht so ein Schuft bin, wie sie glaubt?«
Der Hund blinzelte und nieste zweimal.
»Na prima. Jetzt frage ich schon einen vierbeinigen Mopp um Rat.« Brendan legte den Kopf zurück, um zu dem Gewirr aus Spinnweben und Schatten aufzublicken, und warf den verstaubten Balken ein grimmiges Lächeln zu. Er würde Elisabeth nie dazu bringen können ihn zu verstehen. Er war ein Schuft, neben einer Menge anderer, noch unschönerer Eigenschaften.
Elisabeth murmelte etwas im Schlaf und drehte sich um, wobei der Mantel, mit dem er sie zugedeckt hatte, auf den Boden fiel. Ihr Zopf hatte sich gelockert, und wirre rote Locken umrahmten ihr Gesicht, das so weiß war wie ihr Hemd, als sie stirnrunzelnd nach der verlorenen Wärme suchte.
Brendan kippte den Stuhl wieder nach vorn und erhob sich, um den Mantel aufzuheben. Diesmal ließ der Hund ihn an Elisabeth heran. Er streckte sogar seine kalte Nase aus, um Brendans Finger zu beschnüffeln, als er Elisabeth wieder in den Mantel hüllte.
Sofort kuschelte sie sich in seine Wärme, und ein Lächeln huschte über ihre Lippen, die ein kaum hörbares »Danke«, murmelten.
Ein bisschen spät, dachte Brendan. Und wenn sie erwachte, würde sie sich bestimmt auch nicht daran erinnern, ihm gedankt zu haben, sondern genauso bissig und wütend sein wie eh und je.
Brendan fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und versuchte, sich zu konzentrieren, was aber schlicht unmöglich war. Ihm war kalt in dieser unwohnlichen, feuchten Hütte, und er fühlte sich äußerst unbehaglich, zumal er auch noch eine Frau am Hals hatte, die beim Erwachen einen hysterischen Anfall bekommen würde. Wütend, aufgeregt und hundeelend würde sie sich fühlen – was im günstigsten Moment schon keine gute Mischung war. Und dies war alles andere als der günstigste Moment.
Deshalb versuchte Brendan, sich an das einzig Wichtige zu klammern – dass der Sh’vad Tual in Sicherheit war.
Er zog ihn an seiner goldenen Kette unter seinem Hemd hervor. Was für ein unprätentiöses Schmuckstück! Der grob behauene Stein war weder schön, noch funkelte oder glänzte er. Doch während Brendan ihn noch betrachtete, flackerten Gold, Bronze und Rosa in seinen tiefsten Winkeln auf, die zu bernsteinfarben wurden, dann ein zitronen- und messingfarbenes Gelb annahmen, bevor sie zu einem dunklen Weinrot, hellen Pink und dem rotgoldenen Ton eines guten Brandys wechselten.
Einige Farben tauchten auf und verschwanden wieder; andere blitzten und funkelten nur, wenn Brendan nicht direkt hinsah. Hinzu kamen noch andere Farbschattierungen, die sich mit keinem der ihm bekannten Namen beschreiben ließen: ein Braun, das rauchige Silber-, zugleich aber auch kräftige Orangetöne enthielt. Ein Blau, das in einem Lichtstrahl dunkellila schimmerte und im nächsten Moment zu Farngrün changierte, bevor es sich zu einem rußigen Schwarz verdunkelte.
Brendan starrte den Stein an, bis seine Augen brannten und tränten, während die Facetten des Steins sich wie eine Landkarte in seiner Hand entfalteten. Er sah Höhlen und Kavernen, weite Ozeane, sternenglitzernde Himmel und galaktische Systeme. Da waren Bäume, deren Wipfel von Blitzen durchzuckte Wolken streiften, aber auch ein einziger Wassertropfen, der von einem perfekt geäderten Blatt herunterlief.
Die dunklen Wolken teilten sich, um einen Lichtstrahl hindurchzulassen, und Brendan sah einen Mann, der auf einem mit Toten übersäten Schlachtfeld stand. Sein Haar war feucht von Schweiß und Blut, sein Schwert zerbrochen, und ihm war anzusehen, dass er dem Tode nahe war.
Ein grauenvoller Schmerz, als würde ihm mit einer Axt der Schädel gespalten, durchfuhr Brendan, während der Stein die Innenseite seiner Hand
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