Verlockendes Dunkel
versengte und die Farben in einem Strom aus Ebenholz, Lavendel, Smaragd und Azurblau durch seine Finger flossen.
»Verdammt!« Er ließ den Stein los und schüttelte die verbrannte Hand. Als er den Sh’vad Tual wieder aufhob, war er so kühl und leblos wie zuvor.
Ein Frösteln durchlief Brendan und brachte seine Zähne zum Klappern, worauf er sich noch fester in seinen Rock hüllte und darauf wartete, dass Elisabeth erwachte.
Und das wahre Elend erst begann.
Unzusammenhängende Bilder und verworrene Gedanken schossen Elisabeth durch den Kopf und weckten bizarre Träume, die ihr Übelkeit verursachten und ein unangenehmes Brummen in ihren Ohren hinterließen.
Sie sah Tante Fitz mit ihrem seltsamen, geheimnisvollen Lächeln. Gordon, der mit seinem Saphirkollier in der Hand allein vor dem Altar in der Kirche stand. Schwärme von kreischenden, scharfäugigen Tauben, die Kreise über Dun Eyre zogen, bevor sie in Richtung Osten auf Dublin und auf London zuflogen. Brendan, der ihren Anhänger umklammerte und zwischen dessen Fingern buntes Licht hindurchdrang. Und sie sah auch sich selbst in ihrem viel zu engen Hochzeitskleid und mit einem Stück Kuchen in jeder Hand.
Immer neue Bilder tauchten auf, bevor sie sich in einem endlosen Dämmerlicht verloren. Elisabeth versuchte, der vordringenden Dunkelheit vorauszubleiben, doch egal, wie viele Schritte sie machte, die Schatten kamen immer näher. Sie begann zu laufen, aber ihre Furcht verstärkte das graue Nichts hinter ihr nur. Als sie stolperte und fiel, schrie sie nach der einzigen Person, von der sie wusste, dass sie den Tod aufhalten konnte, der sie in der Leere erwartete.
Und wachte sterbenselend und heftig würgend auf.
»Kämpf nicht dagegen an, Lissa! Das macht die Übelkeit nur schlimmer.«
Dagegen ankämpfen? Dachte er, das sei es, was sie tat? Nein, sie hatte schon lange die weiße Fahne gehisst und wollte nur noch, dass der Boden an seinem Platz blieb und die Wände aufhörten, sich zu drehen, um in Frieden sterben zu können.
»Du wirst nicht sterben«, kam die ärgerliche Antwort.
Elisabeth versteifte sich. Hatte sie etwa laut gesprochen? Ganz sicher nicht. »Du meinst, dieser zehnte Kreis der Hölle wird ewig anhalten?«
»Natürlich nicht. In ein, zwei Stunden bist du wieder auf den Beinen«, sagte Brendan. »Hoffe ich«, fügte er leiser hinzu.
Er hüllte sie wieder in den Mantel ein, der ihr als Decke diente, und sie hörte das Stroh unter ihrem Kopf knistern, als sie sich fröstelnd unter dem dicken Tuch zusammenrollte und versuchte, sich ein Bild zu machen, wo sie war. In der Lehmhütte eines Bauern, mit einem Boden aus fest gestampfter Erde und einigen grob gezimmerten Möbelstücken. Die Gerüche von Schweiß, Schmutz und Tieren hingen in der Luft. In einer Ecke bildete sich eine Pfütze von dem Regen, der aufs Dach trommelte, und der Wind rüttelte an der Tür und trieb den Rauch in den Kamin zurück.
Brendan setzte sich auf einen Stuhl an der Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick war von Ärger und Frustration geprägt. Als hätte ausgerechnet er das Recht, ihretwegen ärgerlich zu sein!
Am liebsten hätte sie ihn angeschrien. Ihn geohrfeigt. Ihn windelweich geprügelt, weil er ihr das antat. Das und all die anderen Dinge, die er sich hatte zuschulden kommen lassen. Aber das Zimmer drehte sich so wild um sie, dass sie innerlich vor Wut nur schäumen und die Minuten zählen konnte, bis der Augenblick ihrer Rache kommen würde.
»Wo sind wir?«, fragte sie zähneklappernd.
»An der Straße zwischen Corofin und Gort.«
So weit? Selbst wenn sie auf der Stelle aufbrachen, würde es Stunden dauern, bis sie Dun Eyre erreichten. »Wie lange …« Sie schluckte. »Wie lange liege ich schon hier?« Sie konnte sich nicht dazu überwinden hinzuzufügen, allein mit dir. Es würde die Riesenkatastrophe, die sich schon jetzt bedrohlich abzeichnete, nur noch unterstreichen.
»Vierundzwanzig Stunden etwa«, erwiderte er mit unüberhörbarer Verdrossenheit.
Einen ganzen Tag? Sie müsste inzwischen verheiratet sein. Eine respektable Ehefrau, die die letzten Vorbereitungen zu ihrer Hochzeitsreise nach London traf. Stattdessen aber würde Gordon völlig außer sich sein und Tante Fitz und Tante Pheeney in heller Panik.
Oder … Elisabeth schnappte entsetzt nach Luft.
Tante Fitz wusste, dass Brendan in Dun Eyre gewesen war. Elisabeth hatte sich sogar amüsiert über seine lächerliche Behauptung, die Braut entführen zu wollen. War
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