Verlockendes Dunkel
tatsächlich in Gefahr war? Oder war das nur ein Vorwand, um sie bei sich zu behalten, während er sie umwarb? Falls das jedoch seine Vorstellung von Verführung war, war er ausgesprochen schlecht darin.
Sie fixierte ihn mit einem Blick, von dem sie hoffte, dass er ihn durchlöchern würde. Doch leider griff der Schmerz in ihrem Kopf auf ihren Nacken und ihre Schultern über, bis ihr ganzer Körper schmerzte und sie die Augen schließen musste, bevor ihr Hirn aus ihnen herausfloss. »Mir wird schon wieder übel.«
»Es war nur ein simpler kleiner Zauber. Wie konnte ich wissen, dass du so stark darauf reagieren würdest?«
»Simpel, sagt er«, murmelte sie und drehte sich mit dem Gesicht zur Wand.
Sie hörte ihn im Raum herumgehen. Das Knistern des Feuers, als er Holz nachlegte und es wieder entfachte. Das Scharren eines Stuhls. Das Gemurre, als er versuchte, es sich bequem zu machen.
Hilflosigkeit passte nicht zu ihr. Falls Brendan glaubte, sie würde ihm erlauben, sie wie einen Sack Mehl über sein Pferd zu werfen, irrte er sich gewaltig. Aber welche andere Wahl blieb ihr? Sie war nicht in der Verfassung, mit ihm zu streiten oder sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Sie hatte ja nicht mal Kleider, Herrgott noch mal! Sie war ihm wirklich hilflos ausgeliefert.
Vorläufig zumindest.
Sie zog den Mantel noch fester um sich, während sie sich noch einmal seine Erklärungen ins Gedächtnis rief. Magie. Zauber. Die Anderen . Diese Dinge gehörten nicht in die wohlgeordnete Normalität ihres Lebens. Sie waren Bestandteil von etwas Fremdem, Dunklem und Verbotenem. Von Getuschel hinter verschlossenen Türen und wundersamen Geschichten ihrer Großmutter, die Elisabeths Fantasie mit köstlicher, prickelnder Erregung erfüllt hatten.
Ein bisschen von dem, was sie früher einmal verspürt hatte, wenn sie bei Brendan war. Als würde sie, wenn sie erst einmal verheiratet waren, endlich diese farbenfrohe, exotische, schwer zu fassende Welt entdecken und die Kräfte verstehen, die ihn antrieben, formten und von ihm abstrahlten wie das Glitzern von Diamanten.
Dieser Kindheitswunsch war ihr erfüllt worden, und zwar ganz gehörig.
Doch statt eines Wunders war das Einzige, was sie erlebte, das Gefühl, am Rande eines Abgrundes zu stehen, der Furcht erregender war, als sie es sich auch nur vorstellen konnte. Mit angehaltenem Atem und ängstlicher Erwartung, als könnten ihre Welt und seine jederzeit in diese dunkle Kluft hinunterstürzen.
Eine einzige falsche Bewegung, und es würde für sie beide kein Zurück mehr geben.
»Was willst du mit diesem hässlichen Fetzen?«, fragte Elisabeth.
Brendan hielt ein formloses, graubraunes Stück Stoff hoch, das mit Flecken unbekannter Herkunft übersät war. »Das ist dein Kleid. Seine frühere Besitzerin hat mir einen ganzen Schilling dafür abgenommen, also gib gut acht darauf.«
»Gab es die Läuse umsonst dazu?« Sie schüttelte den Kopf und lachte spöttisch auf. »Nein, wirklich, Brendan. Was ist das?«
»Dein Kleid. Entweder trägst du das oder dein Nachthemd, bis wir in Dublin sind«, erwiderte er und ließ Unterröcke, eine Schürze, Strümpfe und ein Paar derbe Stiefel auf die Strohmatratze fallen. »Wir haben keine Zeit, dir etwas Besseres anfertigen zu lassen.«
Elisabeth rümpfte die Nase, als sie den schäbigen Baumwollstoff betrachtete. Das sollte ein Kleid sein? Vielleicht vor langer Zeit einmal, aber heute sah das Ding mehr wie ein Kartoffelsack aus. Wie ein sehr hässlicher Kartoffelsack, dachte sie seufzend. Die Lage verschlechterte sich weiter. Doch wenigstens hatte sie sich von dem gestrigen Schwindel und der Übelkeit erholt und war schon froh über diese kleinen Siege. Außerdem würde sie bekleidet – und wenn auch nur mit Lumpen – bessere Chancen haben, ihre Freiheit zurückzugewinnen. Sie würde ihren Tanten schreiben und sie bitten, ihr zu helfen. Gordon würde ihr zu Hilfe eilen, und alles würde wieder gut sein.
»Na schön. Aber nur, weil ich keine andere Wahl habe«, seufzte sie und nahm Brendan den hässlichen Fetzen aus der Hand. »Doch sobald wir in der Stadt sind …«
»Überschütte ich dich mit Seide, das verspreche ich. Und jetzt zieh dich an! Wir haben hier genug Zeit vertrödelt.«
Ihr Blick glitt vielsagend zwischen dem Kleid und Brendan hin und her. Als er nicht zu begreifen schien, räusperte sie sich.
»Es schüttet draußen. Ich würde pitschnass«, wandte er entrüstet ein.
Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände.
»Na schön. Komm,
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