Verlockendes Dunkel
er seinen Kaffee und starrte seufzend vor sich hin. »Ich werde meine magischen Kräfte nicht mehr als nötig nutzen, Lissa. Das wäre unklug.« Er blinzelte, und die Qual schwand, die sie in seinen Augen zu sehen glaubte. »Außerdem würde kein Fluchtversuch gelingen, solange ich durch diese verdammte Schulter behindert bin.«
»Also tun wir nichts?«
»Ah, jetzt sind wir also ›wir‹?«, entgegnete er belustigt.
»Ebenso sehr ›wir‹, wie sie ›sie‹ sind.« Elisabeth runzelte die Stirn. »Du weißt schon, was ich meine.«
»Was uns an sich bereits zu denken geben sollte.«
Wieder seufzte er und rückte seine Armschlinge zurecht, als schmerzte seine Schulter. Elisabeth dachte, dass sie ihn nicht bedrängen dürfte. Sein Fieber kam und ging, und seinem Gesicht war anzusehen, dass er noch immer große Schmerzen litt.
»Bis ich die Sache mit dem Stein geregelt habe, bist du an mich gebunden, und solange ich verwundbar wie ein Kätzchen bin, sind wir auf sie angewiesen«, sagte er. »Es hätte schlimmer kommen können.«
»Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.« Sie sollte ihm wirklich nicht die Hölle heißmachen, doch er dürfte diese ganze Sache auch nicht wie einen Schuljungenspaß betrachten. »Du hast mir erzählt, du wärst sieben Jahre vor diesen Leuten geflohen.«
»Ja, aber ich habe dir auch gesagt, dass Miss Roseingrave sich absolut nicht wie eine Amhas-draoi verhält.«
»Du meinst, weil du noch lebst?«
»Genau. Aus welchem Grund auch immer will sie offenbar, dass es so bleibt. Ein Verwundeter und eine junge Frau wären leichte Beute für Máelodors Männer. Aber nicht eine so kampferprobte Amhas-draoi -Kriegerin wie sie. Für den Augenblick sind wir also absolut sicher. Und ich zumindest gedenke diese kurze Atempause zu genießen.« Und damit legte er den gesunden Arm hinter den Kopf und schloss die Augen.
»Du bist der unmöglichste Mann, der mir je begegnet ist«, schnaubte sie.
»Mag sein.« Er lächelte mit geschlossenen Augen. »Aber du liebst mich trotzdem.«
Elisabeth saß auf dem Kutschbock neben Rogan und betrachtete die Straße vor ihnen und die herrlich grüne Landschaft rechts und links von ihnen. Sie erhob ihr Gesicht in die blasse Sonne, die hin und wieder aus den dichten, tief hängenden Wolken spähte, die Schatten über die Felder zu beiden Seiten warfen. Von der steifen Brise ließ Elisabeth sich den Kopf durchfegen und atmete die frühlingshaften Düfte der frisch beackerten Erde und der neuen Pflanzen ein. Vögel zwitscherten und sangen in den Hecken, und zweimal sah sie zwischen den schattigen, mit wilden Blumen übersäten Wäldern das rote Fell eines Fuchses aufleuchten.
Brendan schlief. Helena Roseingrave hatte sie verlassen, als sie Banagher durchquerten, und versprochen, sich später wieder zu ihnen zu gesellen. Sie hatte keine weiteren Erklärungen abgegeben, obwohl sie und Rogan ein paar Minuten leise miteinander gesprochen hatten, bevor sie sich in den Sattel geschwungen hatte.
Als sie am Wagen vorbeiritt, zügelte sie jedoch den Wallach, und ihr ruhiger Blick glitt über Elisabeth, bis die sich hätte winden können vor Verlegenheit. Mit diesem scheußlichen, stinkenden Kleid und ihrem Haar, das ein heilloses Durcheinander war, konnte sie sich sehr gut vorstellen, was für ein Bild sie abgab.
»Hat er dich entführt, um dich vor Máelodor zu beschützen?«, fragte Helena, als fiele es ihr schwer zu glauben, dass Brendan aus uneigennützigen Motiven handeln könnte.
Elisabeth errötete. »Das sagt er jedenfalls.«
»Er ist nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte.«
»Nein. Ich hatte ihn mir auch ganz anders vorgestellt.«
Elisabeths anfängliche Furcht war viel schneller verflogen, als sie gedacht hätte. Nach jener ersten Nacht, in der sie bei jedem Geräusch zusammengefahren war, hatte sie geschlafen wie ein Stein. Ihr war nie bewusst gewesen, wie behütet und beschützt sie ihr Leben lang gewesen war oder dass ihre privilegierte Stellung sie vor weitaus mehr als Armut bewahrt hatte. Und vor allem hätte sie nie gedacht, wie sehr sie diesen unerwarteten Geschmack von Freiheit schätzen und genießen würde.
Bei Einbruch der Nacht war sie von den langen Reisetagen erschöpft gewesen, und eine unerklärliche Neugier auf die ständig wechselnde Landschaft hatte sie im Morgengrauen aus ihren Decken getrieben. Das und Rogans Frühstück aus dicken Scheiben Schinken, perfekt gebratenen Eiern und knusprigen Kartoffeln, die sie sich
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