Verlockendes Dunkel
war das erste Mal seit langer Zeit gewesen, dass er wieder versucht hatte, Mozart zu spielen. Elisabeths Erscheinen im Musikzimmer hatte ihn überrascht. Ihre Fragen hatten sein altes Verlangen nach Freiheit aus der Dunkelheit wieder ans Licht gebracht, aber mit diesen Freiheitswünschen war noch etwas anderes in ihm hochgestiegen: eine Erinnerung an ein Mädchen, das die einzige Person gewesen war, die ihn weder als Wunderkind noch als Bedrohung angesehen hatte. Sie hatte nie etwas anderes von ihm gewollt als Freundschaft, ihm niemals etwas anderes angeboten als ihr heiteres Lachen und aufrichtiges Lächeln. Sie war die Einzige gewesen, die ihn in jenen kurzen, verwundbaren Momenten, wenn er spielte, genauso sah wie er sich selbst.
Er hatte seinen Schock über diese Erkenntnis gut verborgen. Oh ja, er hatte diese sekundenlange Sentimentalität unter einer Tonne von Spott verborgen. Sie hatte es nicht erraten, sondern war gegangen in der Überzeugung, dass er ein ausgemachter Schuft war. Und die Erde drehte sich weiter um ihre eigene Achse, hatte er geglaubt.
Bis heute Abend.
An diesem Abend hatte er sie angeschaut und nicht die Lissa aus seinen Erinnerungen gesehen, sondern eine Frau, die ihm völlig fremd vorkam, doch ausgesprochen faszinierend war. Ruhig. Gelassen. Selbstbewusst und ungeheuer attraktiv.
Wieder legte er den Kopf zurück und schloss die Augen. »Elisabeth hasst mich, und ich kann nicht sagen, dass ich es ihr übel nehme. Schließlich habe ich sie ihrem zukünftigen Ehemann entrissen. Wie ich das wieder in Ordnung bringen soll, weiß ich nicht, aber mir wird schon etwas einfallen. Das tut es eigentlich immer.«
Rogan lachte. »Sie empfinden etwas für sie. Das ist Ihrer Stimme anzuhören, wenn Sie von ihr sprechen, und es zeigt sich in der Art, wie Sie sie ansehen, wenn sie in der Nähe ist.«
»Ich kenne sie seit der Zeit, als sie eine Puppe, der ein Auge fehlte, mit sich herumschleppte und mich ständig damit nervte, sie mit uns Jungen Kricket spielen zu lassen. Sie ist für mich wie eine kleine Schwester.«
Vor seinen müden, brennenden Augen erschien Elisabeths verschwommenes Gesicht. Schon damals hatte sie eine wilde rote Mähne und schöne dunkle Augen gehabt. Brendans Herz verkrampfte sich unter einem jähen, scharfen Schmerz, und Kummer überschwemmte ihn wie die Brandung Belfoyles Klippen.
Eine Vision der Vergangenheit oder Zukunft?
Oder nur eine weitere Untat, für die er noch würde büßen müssen?
Brendan stieß zischend den Atem aus, als er die Jacke abstreifte und ein wahnsinniger Schmerz bei dieser simplen Bewegung seinen Arm durchschoss. Die verdammte Schulter! Er konnte sich jetzt wirklich keine Verletzung erlauben. Nicht jetzt, da die Jäger ihn schon auf die Gewehre zutrieben. Er würde zwei gesunde Arme brauchen, um ihrer Umzingelung zu entkommen. Und einen klaren, nicht vom Fieber umnebelten Kopf. Vielleicht sollte er Miss Roseingraves Großmutter ja doch einmal nach der Schulter sehen lassen.
Er sank aufs Bett und löste die Schalkrawatte, knöpfte die Weste auf und versuchte, seine Schulter nicht mehr als nötig zu bewegen. Sein Hemd über den Kopf zu streifen trieb ihm die Tränen in die Augen. Als er sich bückte, um die Stiefel auszuziehen, wurde ihm schwarz vor Augen, weil der Schmerz in seiner Schulter bis in sein Gehirn hochschoss. Deshalb hörte er kaum das Klopfen an der Tür – ein ganz leises Pochen nur, gefolgt von einem Flüstern.
Er erhob sich, um zu öffnen, und riss sich zusammen, um die gelassene, selbstbewusste Haltung einzunehmen, die Elisabeth von ihm erwartete. Die kleinste Veränderung nur, und sie würde zu zweifeln beginnen. Oder sich Sorgen machen. Und wenn er sie beschützen sollte, brauchte er ihr Vertrauen, um selbstsicher und unerschütterlich zu bleiben.
Er wollte gar nicht zu genau darüber nachdenken, warum ihm so viel daran lag, dass sie an ihn glaubte.
In einem Morgenmantel aus feinstem Leinen, den ein Kragen und Manschetten aus limonengrüner Seide zierten, stand sie vor ihm in der Tür. Ihr geflochtenes Haar glänzte wie poliertes rotes Gold. Strähnchen und Locken aus dunklerem Mahagoni und hellerem Kastanienbraun, die sich aus dem Zopf gelöst hatten, umrahmten ihr Gesicht. Eine Locke hatte sie hinters Ohr gestrichen, eine andere fiel ihr in die Stirn.
Der Morgenmantel betonte die Rundungen ihrer üppigen Brüste, fiel einladend über ihre wohlgeformten Hüften und bedeckte in hübschen Falten ihre langen Beine bis hinunter
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