Verlockendes Dunkel
erklären war unmöglich. In seinen Augen würde sie rettungslos kompromittiert und ihr guter Ruf verloren sein. Für ihn war sie beschmutzt, verdorben und unwürdig, seine Braut zu sein.
Der Schmerz, der diesen Gedanken begleitete, ging tief, doch er nahm sie nicht so heftig mit, wie sie gedacht hätte. Sie hatte Gordons Antrag angenommen, weil sie wusste, was für ein solider, zuverlässiger Mann er war – und obwohl ihr nur zu gut bewusst gewesen war, dass er ihre Leidenschaft nie würde wecken können. Aber sie hatte auch gewusst, dass er möglicherweise ihre letzte und einzige Chance war. Und was sagte das über sie aus?
»Hier ist noch eine Decke, falls Ihnen kalt wird heute Nacht, obwohl es jetzt noch warm genug ist.«
Elisabeth hatte Helenas Großmutter nicht hereinkommen gehört, doch dort stand sie. Ein freundliches Lächeln lag auf ihrem faltigen, verschrumpelten Gesicht.
Killer, der gewöhnlich alle Neuankömmlinge mit einem symbolischen Knurren begrüßte, schlief weiter – auf dem Rücken liegend und alle viere von sich gestreckt auf dem Bett.
»Ein prima Wachhund bist du«, murmelte Elisabeth.
Die alte Dame betrachtete den Hund mit einem langen, abschätzenden Blick. »Haben Sie ihn schon lange?«
»Er hat sich uns gewissermaßen auf der Straße angeschlossen.«
»Ach?« Sie nahm das Tier so genau in Augenschein, dass Killer schließlich faul ein Auge öffnete, um den scharfen Blick der alten Dame zu erwidern.
»Sie sind sehr liebenswürdig, Mrs. … Mrs. …« Elisabeth stockte, weil sie nicht wusste, wie sie ihre Gastgeberin ansprechen sollte.
Die alte Dame lachte. »Madame Arana«, sagte sie und legte die Decke auf einen Sessel. »Es ist schön, wieder ein volles Haus zu haben. Seit der Bruder von ma petite Helena starb, ist es hier viel zu still geworden. Zu viele leere Räume voller trauriger Erinnerungen.«
Ihre kleine Helena? Das war ja wohl reichlich übertrieben. Die Amhas-draoi hatte die Statur einer Amazone. Und auch das Aussehen, wenn man’s recht bedachte. Groß, dunkel und kalt wie Eis. Selbst gebadet und mit etwas halbwegs Anständigem bekleidet, kam Elisabeth sich im Vergleich zu ihr wie eine Vogelscheuche vor.
»Ich werde Sie jetzt wieder allein lassen, da ich nach dem jungen Mann sehen muss. Er ist kein einfacher Patient. Typisch Mann. Il se plaint toujours – die ganze Zeit beklagt er sich und vertraut meinen Fähigkeiten nicht. Dabei verstehe ich viel von den alten Mitteln, und er täte besser daran, sich von mir behandeln zu lassen.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück, denn er ist ausgesprochen stur.«
»Oh, aber das bin ich auch.« Madame Arana lächelte, und ihre Augen verloren sich fast zwischen all den Falten in ihrem Gesicht.
Elisabeth trat vom Fenster zurück und erfreute sich an dem Luxus des dicken Teppichs unter ihren nackten Füßen, als sie zum Bett hinüberging. Der schwache Duft von Lavendel stieg von den Laken auf, als sie sich auf der weichen Matratze niederließ. »Wissen Sie, wozu Ihre Enkelin Brendan braucht? Warum sie all das tut?«, fragte sie mit einer weit ausholenden Handbewegung. »Die Amhas-draoi wollen Brendan töten, das hat sie selbst gesagt. Trotzdem wurden wir wie Gäste aufgenommen. Warum?«
»Sie sind ein Gast, Miss Fitzgerald, wenn auch ein unerwarteter. Wir hatten Ihre Anwesenheit nicht vorausgesehen. Durch keines meiner Orakel wurden wir vor dieser Möglichkeit gewarnt. Das macht Sie zu einem unbekannten Faktor und stellt alles Zukünftige infrage.« Plötzlich wirkte die freundliche alte Dame mit den goldenen Augen nicht länger wie eine reizende kleine Großmutter, sondern vielmehr wie eine weitblickende, mit magischen Kräften begabte Seherin. »Meine Visionen sind nicht mehr sehr hilfreich.«
Warum hatte Elisabeth überhaupt gefragt? Wann würde sie begreifen, dass Fragen nur Antworten brachten, die sie nicht unbedingt hören wollte, und noch mehr Fragen aufwarfen, die dann wie Kaninchen in ihrem Kopf herumflitzten?
»Helena hat Brendan Douglas gesucht, seit wir von seiner Rückkehr nach Irland hörten. Das Warum und Weshalb liegt eindeutig bei den Amhas-draoi . Die Bruderschaft will die letzten Überbleibsel der Neun ausrotten. Nur Helenas Art zu suchen hat sich geändert, als die Umstände andere wurden. Und die Visionen sich veränderten. Verstehen Sie jetzt?«
Nicht mehr als vorher, aber Elisabeth nickte dennoch. »Wer sind die Neun?«
»Es ist nicht meine Sache, diese Geschichte zu erzählen. Fragen Sie besser
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