Verlockung der Nacht
meines Onkels, und wieder traf mich die Erkenntnis. Don wirkte nicht im Mindesten überrascht. Er hatte zwar einige Andeutungen über Madigan gemacht, dabei aber nicht einmal zur Sprache gebracht, dass er Kontakt zu Vampiren hatte. Wie hatte er etwas so Wichtiges unerwähnt lassen können?
Bones’ Augen wurden grün, und Energie zuckte durch die Atmosphäre – eisig, tödlich und sich so schnell ausbreitend, dass bald alle Umstehenden von ihr erfasst waren. Ich erstarrte, als fürchtete ich eine Explosion. Tyler spürte wohl auch, dass eine Art Schalter umgelegt worden war. Er wich zurück und dachte: Der Typ hat voll verschissen.
Auch Madigan schien sich darüber klar zu sein. Er trat einen Schritt zurück, und sein Lächeln erstarb. »Sehen Sie die Visiere, die meine Männer tragen? Sie schützen sie nicht nur vor der Wirkung Ihrer Augen, sie übertragen auch Live-Bilder an einen sicheren Ort. Selbst wenn es Ihnen gelingen sollte, uns alle zu töten, werden Regierungsmitglieder erfahren, wer dahintersteckt. Man wird Sie für den Rest Ihres Lebens jagen.«
Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob Bones sich daran störte. Madigan hatte ja keine Ahnung, dass man einen Meistervampir niemals mit der Andeutung provozieren durfte, man würde andere Vampire gegen ihn ausspielen. Und während mich die Vorstellung, Bones könnte Madigan umbringen, nicht weiter beunruhigte, hätte ich es doch abstoßend gefunden, wenn seine Soldaten dran glauben mussten, nur weil sie ihre Pflicht erfüllen wollten. Außerdem konnten wir schwerlich darauf beharren, man müsste keine Vorurteile gegen Vampire haben, wenn wir vor laufender Kamera einen Top-Geheimagenten wie Madigan mitsamt einem Teil seiner Schutztruppe abschlachteten.
Meine Finger schlossen sich um Bones’ Hand, seine Macht schoss meinen Arm hinauf wie ein Stromstoß.
»Nein«, sagte ich ruhig.
Ein paar Augenblicke lang war ich mir nicht sicher, ob er auf mich hören würde. Die gefährliche Energie ebbte nicht ab, und der bedrohliche Blick, mit dem er Madigan fixierte, sagte, dass den Agenten nur noch Sekunden vom Tod trennten.
Dann kam etwas Nebliges aus der Höhle geschwirrt, so schnell, dass ich nicht ausmachen konnte, was es war. Eisige Nadeln kratzten über meine Haut, und Dexters Bellen wurde von Tylers gemurmelten »Das ist nicht gut« übertönt.
»Du willst mich einsperren, Hexe ?«, zischte eine vertraute Stimme.
Kramer. Offensichtlich hatte der Wichser kapiert, wozu der große Steinzylinder gedacht war. Tyler hatte das Ouija-Brett zwar deaktiviert, aber der Geist musste vorher zu uns durchgeschlüpft sein.
Ich griff in meine Tasche, um den Salbei herauszuholen, woraufhin sich ein Dutzend Waffen auf mich richteten.
»Keine Bewegung!«, bellte jemand.
Meine Hände erstarrten. Ich wollte mich nicht von Silberkugeln durchsieben lassen, denn immerhin musste ich noch in der Lage sein, diese Idioten zu beschützen.
»Madigan«, sagte ich. »Schaffen Sie Ihre Männer hier weg. Sofort.«
Madigan wurde fuchsteufelswild. »Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie keine Befugnis haben, mir Befehle zu erteilen.«
Bones ließ ein barsches Schnauben hören. »Ich muss sie gar nicht umbringen, Kätzchen. Das erledigen diese Verrückten schon selbst.«
»Was meinen Sie damit?«, fauchte Madigan, der die finsteren Strudel, die links neben einem seiner Soldaten auftauchten, nicht sehen konnte.
»Sie werden’s erleben«, antwortete Bones.
Und das tat er auch, als Kramer einen Augenblick später angriff und Schreie die Stille zerrissen.
17
Die letzten Verwundeten wurden von den Sanitätern weggetragen, sodass nur noch die wenigen Unversehrten und Toten im Wald zurückblieben. Selbst die Soldaten und das Team aus den Wohnmobilen waren um uns geschart, weil Madigan so viele Leute wie möglich in seiner Nähe haben wollte, bis er abgeholt wurde. Um uns herum brannte Salbei in Tiegeln, aber nicht nur dessen Aroma lag in der Luft. Der Geruch von Blut und Tod war ebenfalls durchdringend, hing in den Kleidern der Überlebenden und entströmte den Toten.
»Wie konnte das passieren?«, murmelte Madigan, während sein Blick über die blutige Szenerie schweifte.
Ich hatte bei meiner Mutter gestanden, aber als ich Madigans Worte hörte, ließ ich sie allein, um zu ihm zu gehen. Obwohl die Gefallenen Fremde gewesen waren und gedroht hatten, mich zu erschießen, hatten sie einen solchen Tod nicht verdient. Die Tatsache, dass er vermeidbar gewesen wäre, verärgerte mich nur
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