Verloren: House of Night 10 (German Edition)
ich. Nur wenige Meter hinter Grandma war eine kaputte Glastür, durch die ich die Terrasse sehen konnte, die friedlich im Sternenlicht lag – und auf der in diesem Augenblick mit ausgebreiteten Schwingen Kalona landete.
Doch plötzlich stand Neferet vor uns. »Nein! Diesmal nicht. Versiegelt die Tür!« Auf ihren Befehl wob sich ein Netz aus Schwärze vor die zersplitterte Tür und verwehrte Grandma den Durchgang. Neferet musterte uns. »Diesmal seid ihr in meinem Heim, und ich lade keine roten Vampyre oder Jungvampyre zu mir ein!«
»Oh nein!«, rief Stevie Rae – und sie, Shaylin und Stark wurden von den Füßen gerissen und mit solcher Wucht gegen die geschlossenen Aufzugtüren geschleudert, dass Shaylin aufschrie. Sie und Stevie Rae ließen ihre Kerzen fallen. Der Kreis war gebrochen.
»Zoey!«, schrie Stark gepeinigt, während er wieder und wieder gegen die Tür geworfen wurde.
»Aufhören!«, schrie Shaylin.
Ich begriff, was los war. Rote Vampyre unterlagen anderen Regeln als blaue. Sie verbrannten im Sonnenlicht. Sie konnten die Gedanken von Menschen kontrollieren. Und sie konnten keine Behausung betreten, in die sie nicht eingeladen waren.
Aphrodite kannte diese Regeln ebenso gut wie ich. Sie rannte zum Aufzug und drückte auf den Knopf. Als die Tür sich öffnete, kollerten die drei hinein. Stark kam zuerst wieder auf die Füße. »Meinen Bogen!«, rief er Rephaim zu.
»Nein. Ich habe etwas dagegen, dass du deinen Bogen bekommst«, sagte Neferet und winkte mit der Hand. Etwas Klebrig-Finsteres wand sich um Rephaims Fußgelenke und holte ihn von den Füßen. »Aber schaut nur zu, ihr drei.« Sie schnippte mit den Fingern, und spinnwebartige Fäden verhinderten, dass die Aufzugtüren sich wieder schließen konnten. Dann sah sie mich an. »Wie nett von dir, deine Großmutter bei mir zu besuchen. Sollen wir ein bisschen Spaß haben, ja? Gefäß, töte die alte Frau!«
Neferets Befehl wirkte auf die Bestie wie ein Peitschenhieb. Sie brüllte auf und begann, gegen die Wände ihres Gefängnisses aus Elementen zu toben.
Und unaufhaltsam gaben die Elemente nach.
Ich ließ meine Kerze fallen und streckte die Hände seitlich aus. Damien nahm meine Rechte, Shaunee meine Linke.
»Geist, halt ihn fest!«, rief ich.
»Luft, peitsche ihn!«, befahl Damien.
»Feuer, verseng ihn!«, ergänzte Shaunee.
Die Sphäre aus Energie um die Bestie pulsierte, und einen Moment lang dachte ich, sie würde standhalten, da erhob Neferet wieder die Stimme.
»Meine göttlichen Kinder, verborgen tief drinnen,
kommt hervor – saugt auf, lasst die Rache beginnen!«
Die Haut der Bestie erbebte und zuckte, sie brüllte auf – und aus ihrem Maul barst ein Schwall der grässlichen schwarzen Kreaturen hervor und warf sich sofort gegen die Sphäre aus elementarer Macht. Wie einen Schlag in den Magen spürte ich, wie sie ihr Energie entzogen. Shaunee schrie auf. Damien keuchte vor Schmerz. Aber beide hielten weiter meine Hände fest gepackt.
»Geist, halt aus!«
»Luft, halt aus!«
»Feuer, halt aus!«
Wir boten all unsere Kraft auf, aber ich erkannte, dass wir auf verlorenem Posten standen. Die finsteren Wesen waren zu viele. Zu mächtig. Ein unvollständiger Kreis würde sie nicht aufhalten können.
»Zoey! Flieht!«, hörte ich Grandmas Stimme. Sie kauerte auf dem Boden dicht vor dem Netz aus Finsternis, das ihr den Zugang zur Terrasse versperrte. Auf der anderen Seite sah ich Kalona wie wild an den Ranken zerren, sie entzweireißen und zerhacken. Langsam drang er vor, aber ich wusste: nicht schnell genug.
»Grandma, komm zu uns!«
»Ich kann nicht, u-we-tsi a-ge-hu-tsa . Ich bin zu schwach.«
»Versuchen Sie’s! Sie müssen!«, schrie Stevie Rae aus dem Aufzug.
Grandma begann, auf uns zuzukriechen.
Neferet lachte. »Ist das ein Spaß! Wer hätte gedacht, dass ich einmal so viele von euch auf einmal erledigen würde? Selbst Kalona werde ich loswerden. Wie erschüttert der Hohe Rat sein wird, wenn er hört, dass mein gefallener Geliebter außer Rand und Band geriet, mich angriff und euch alle tötete, als ihr mir zu Hilfe eiltet.« Sie saß auf der Rückenlehne der riesigen halbrunden Couch, hatte die Beine gekreuzt und eine Hand züchtig auf ein Knie gelegt. Ihr langes schwarzes Kleid bedeckte ihre Füße, aber etwas stimmte damit nicht. Obwohl Neferet völlig still saß, bewegte sich der Stoff. Ich erschauerte. Es war, als krabbelten Käfer darunter herum.
»Das nimmt Ihnen keiner ab. Thanatos ist auch hier.
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