Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
ein Stück schwarzes Band, dem man sein Alter ansah. »Ich denke, es sollte durch ein neues ersetzt werden«, murmelte sie. »Aber nur noch für ein paar Wochen, Mylady, dann könnt Ihr die schwarzen Kleider für immer beiseitelegen.«
»Ja, Nellie. Das wird wunderbar sein.«
Aber ihre Trauer würde damit auch nicht verschwinden. Nicht wirklich. Sie würde sie jeden Tag ihres Lebens fühlen – innerlich und nur für sich, wenn es anders nicht möglich war.
Plötzlich entstand auf dem steingepflasterten Hof vor den Fenstern Unruhe. Das Klappern von Pferdehufen zusammen mit dem Knarren von Kutschenrädern wurde lauter, dann ertönte unüberhörbar die Stimme des Butlers, der sorgenvoll die Dienstboten anbellte. Im Haus begannen Schritte die Dienstbotentreppen hinauf- und hinunterzuklappern. Selsdon war voller Hektik – und das nicht grundlos.
»Das klingt wie eine Kutsche, die durchs Torhaus fährt«, stellte Nellie grimmig fest und ging zum Fenster. »Oh, und noch dazu eine sehr feine, Ma’am. Ein glänzender schwarzer Landauer mit roten Rädern. Und die Livreen sind auch schwarz-rot gekleidet. Muss ja ein richtiger Nabob sein, dieser Mann.«
»Der arme kleine verwaiste Cousin«, murmelte die Duchess.
»Oh, ich würde meinen, der neue Herr hat schon ziemlich lange nicht mehr von der Hand in den Mund gelebt, Ma’am«, vermutete Nellie, während sie durch die Gardine spähte. »Und er wird empfangen wie der König höchstselbst. Coggins hat das Personal auf der Freitreppe antreten lassen. Alle stehen sie so finster da wie eine Reihe von Grabsteinen.«
Auch die Duchess schaute nun zum Fenster. »Regnet es denn nicht, Nellie?«, fragte sie. »Mrs. Musbury hat doch noch immer diesen schrecklichen Husten.«
»Aye, es gießt in Strömen.« Die Nase der Zofe klebte fast an der Fensterscheibe. »Aber Coggins hat sie alle scharf im Auge, Ma’am, keiner zuckt mit der Wimper. Und er – wartet! Die Kutsche hat angehalten. Einer der Diener steigt jetzt ab, um ihm die Tür zu öffnen. Er tritt heraus. Er ist ... oh, heiliger Gott ...«
Die Duchess wandte sich auf ihrem Stuhl um. »Was ist denn, Nellie, um alles in der Welt?«
»Oh, aber genau das ist es, Ma’am«, sagte Nellie mit einer Stimme voll stiller Bewunderung. »Er sieht einfach nicht aus wie von dieser Welt. Eher wie ein Engel – aber einer von der grimmigen, zornigen Sorte. Wie die an der Decke des Ballsaals, die ihre Blitze hinabschleudern und wütend aussehen.«
»Nellie, bitte, rede nicht so verrückt.«
»Oh, ich bin nicht verrückt, Ma’am.« Ihre Stimme klang seltsam flach. »Und er ist schrecklich jung, Ma’am. Ganz und gar nicht das, was ich erwartet habe.«
Einen langen Moment lauschten beide Frauen auf das Gemurmel der vor dem Haus stattfindenden Begrüßung, bevor Nellie fortfuhr, Kommentare über sein Haar, die Breite seiner Schultern, den Schnitt seines Mantels und darüber abzugeben, wo genau er jetzt stand. Der neue Duke nahm sich Zeit, wie es schien. Mit welcher Unverfrorenheit er die treu ergebenen Dienstboten im Regen stehen ließ!
In der Duchess begann sich ein fremdes Gefühl zu regen. Es war Zorn, und es überraschte sie. Sie hoffte zutiefst, Mrs. Musburys Husten würde sich durch den Aufenthalt im Regen nicht noch verschlimmern. Halb hoffte sie, der neue Duke würde die Schwindsucht bekommen, aber noch stärker wünschte sie, Nellie würde nicht damit fortfahren, über Blitze zu reden. In der Tat schien er ein übellauniger Engel zu sein!
Gerade in diesem Moment grollte unheilvoller Donner in der Ferne, und das Geräusch des Regens auf den Dächern verstärkte sich zu einem misstönenden Brüllen. Aus dem Erdgeschoss erklang das Schlagen von Türen. Rufe waren zu hören, Pferdegeschirre klirrten, und die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung. Für einen Augenblick schien die Begrüßung in einem einzigen Chaos zu enden.
»Seht, Ma’am?«, sagte Nellie und wandte sich vom Fenster ab. »Es wird gleich losgehen.«
Die Duchess runzelte die Stirn. »Was, bitte, wird gleich losgehen?«
»Das Gewitter. Der Sturm.« Nellie strich mit beiden Händen ihre Schürze glatt. »Es wird losbrechen, Ma’am. Ich ... ich fühle das.«
Die große Eingangshalle von Selsdon Court wirkte in ihrer Leere grandios. Nur die wirklich Reichen konnten sich einen leeren Raum leisten, in dem es kaum etwas anderes gab als Marmor, Vergoldungen und Kunstobjekte. Gareth stand in der Mitte der Halle und drehte sich langsam um sich selbst. Genau das war
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