Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
Als sie vor einem Dutzend Jahren auf den Dachboden gebracht wurde, hätte ich nie gedacht, sie noch einmal zu sehen. Aber das Leben überrascht uns manchmal, nicht wahr, tatellah ?«
Zwei Diener betraten das Zimmer, verschnürten auf ein Kopfnicken der Großmutter hin die Truhe und trugen sie dann die Treppe hinunter und hinaus. Gabriel schaute ihnen nach. »Wird es uns gefallen, in Houndsditch zu wohnen, Bubbe ?«, fragte er. »Ist es weit weg?«
Seine Großmutter zerzauste ihm das Haar. »Nicht weit, Gabriel«, antwortete sie. »Und wir werden es in dem Maße mögen, wie wir uns dazu entscheiden.«
»Was bedeutet das alles?«, fragte er. »Mir gefällt es hier, Bubbe . Ich mag Finsbury Circus.«
Das wehmütige Lächeln kehrte zurück. »Großvater sagt, wir haben den Umzug so lange aufgeschoben, wie wir konnten«, sagte sie. »Eine neue Familie wird dieses Haus bewohnen, tatellah . Es ist Gottes Wille.«
Gabriel verschränkte die Arme vor der schmalen Brust. »Ich habe die Nase voll von Gottes Willen«, sagte er. »Eines Tages werde ich ein eigenes Haus haben, Bubbe . Dann wird Gott nicht mehr wollen können, dass es einem anderen gehört. Nie, nie wieder.«
Eine gute Woche nach seinem Gespräch mit Dr. Osborne befand sich Gareth im Büro des Verwalters, als Terrence, der zweite Stallbursche, hereingestürmt kam. »Euer Gnaden!«, rief er aufgeregt. »Mr. Watson! Eine Kutsche!«
Gareth und Watson beugten sich über eines der Kontobücher und sahen die Einträge durch. »Was für eine Kutsche, Terrence?«, fragte der Verwalter geistesabwesend.
»Ein großer, hochsitziger Phaeton, Sir«, sagte er. »Schwarz lackiert. Er ist gerade durchs Dorf gefahren – mitten durch Mrs. Coreys Perlhühner! Überall fliegen ihre Federn herum, Sir. Man kann Mrs. Corey noch immer bei den Ställen schimpfen hören.«
Der Verwalter richtete sich auf und zog die Augenbrauen zusammen. »Jemand, den du schon mal gesehen hast?«
Der Stallbursche zuckte mit den Schultern. »Wer immer es auch ist, er hat die Kurve auf zwei Rädern genommen und dabei einen Torpfosten umgerissen«, sagte er. »Er wird jeden Moment hier sein – wenn er denn noch lebt.«
Gareth legte den Stift aus der Hand und eilte hinaus, um den Gast zu begrüßen. Nicht viele Männer fuhren mit derart kaltschnäuziger Missachtung ihrer eigenen Sicherheit – ganz zu schweigen von der der unglückseligen Perlhühner.
Wie sich jedoch erwies, hatten Mensch und Tiere überlebt. Lord Rothewell lenkte seinen Phaeton direkt vor die Treppe von Selsdon, hielt knapp fünf Zentimeter davon entfernt und sprang mit einer Anmut vom Kutschbock, die von äußerster Gelassenheit zeugte. Der Gentleman neben ihm auf dem Sitz sah jedoch nicht ganz so gelassen aus. Mr. Kemble nahm seinen eleganten Zylinder aus Biberfell ab und fächelte sich damit Luft zu. »Sollte ich mich bei der letzten Kurve beschmutzt haben, Rothewell, so werdet Ihr Euch um die verdammte Wäsche kümmern.«
»Mein guter Mann, ich kann das Wort Wäsche nicht einmal buchstabieren«, lautete die Antwort.
Gareth näherte sich dem Paar mit einer Zurückhaltung, als könnte einer der beiden eine geladene Waffe bei sich tragen. »Hallo, Rothewell«, sagte er. »Und Mr. Kemble. Das ist in der Tat eine Überraschung!«
Um Rothewells üblicherweise grimmigen Mund legte sich ein Grinsen. »Ich glaube, wir haben einen Rekord von London bis hierher aufgestellt, alter Knabe.«
»Nicht meinetwegen, so hoffe ich doch«, sagte Gareth. »Ich möchte niemandes Blut an meinen Händen haben.«
Rothewell wurde ein wenig ernster. »Es ist nichts und niemand zu Schaden gekommen, mein Freund«, versicherte er. »Und was diese Hühner angeht: Ich bin gerade noch rechtzeitig ausgewichen und –«
»Ja, bei Gott, und wie er ausgewichen ist«, unterbrach Kemble ihn. Der schlanke, elegante Mann kletterte graziös von der Kutsche. »Er hat den Torpfosten mitgenommen, und morgen werde ich die Geschichte durch meine blauen Flecken beweisen können.«
»Wusstest du eigentlich, Rothewell«, sagte Gareth feierlich, »dass Perlhühner sich fürs Leben paaren?«
»Dann sind sie augenscheinlich dumm«, murrte Rothewell, während er die Hände in die Hüften stemmte und Selsdon Court betrachtete. »Nun, das Anwesen ist recht ansehnlich, Gareth. Mein Haus in Cheshire würde zwei Mal hier reinpassen.«
»Und woher willst du das wissen, wenn du dir nie die Mühe gemacht hast, es dir anzusehen?«, zog ihn Gareth auf.
Mr. Kemble musterte Selsdons
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