Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
sagte er. »Ich habe die Unterstützung vieler Menschen erfahren. Die meiner Großeltern, der Nevilles und, ja, auch die der jüdischen Gemeinde, in der ich meine Kinderjahre verbracht habe. Es waren ehrliche, fleißige Leute, die mich beeinflusst haben. Würde ich aus einer reichen Familie stammen, glaubt mir, ich wäre nie nach Selsdon gekommen. Als Kind war ich nur hier, weil ich keine Wahl hatte.«
»Ich muss mich für meine Ignoranz entschuldigen«, entgegnete Antonia. »Ich bin bisher nur wenigen Juden begegnet, zum Beispiel dem Schriftsteller Mr. Disraeli. Ihn und einen seiner Brüder habe ich bei einer Lesung kennengelernt. Es schienen reizende Gentlemen zu sein, hatten einen sehr dunklen Teint. Ich glaube, sie waren spanisch.«
»Italienisch.«
»Wie auch immer«, fuhr sie fort, »aber schließlich sind sie nicht wirklich jüdisch, nicht wahr?«
»Die Disraelis sind so jüdisch, wie ich es bin«, entgegnete er ruhig. »Ihre Mutter war Jüdin – was einigen Leuten genug Beweis der Herkunft ist. Aber wie ich wurde Disraeli in einer anglikanischen Kirche getauft und hat vermutlich nie eine Synagoge von innen gesehen.«
»Und Ihr?«
»Ich auch nicht«, sagte er, »meine Mutter hat es verboten.«
Antonia war neugierig. »Aber warum?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, entgegnete er, »aber meine Eltern waren eher ungewöhnlich. Sie haben aus Liebe geheiratet – einer sehr leidenschaftlichen, dem Vernehmen nach. Meine Mutter wollte, dass ich wie mein Vater als Kind erzogen werde – als privilegierter englischer Gentleman.«
»Hat Euer Vater darauf bestanden?«
Antonia bemerkte, dass sie begonnen hatte zu plappern, aber sie fand es seltsam befreiend, Fragen zu stellen. Es machte es so überraschend leicht, sich mit dem Duke zu unterhalten. Sie fühlte sich, als sei ein Fluttor geöffnet worden; nicht nur zu ihrer Neugierde, sondern auch zu etwas Tieferem. Sie wünschte sich, mehr über diesen rätselhaften Mann zu erfahren.
Sein Blick war jetzt nicht auf sie, sondern auf das zerbrochene Weinglas gerichtet. »Ich weiß nicht, ob mein Vater darauf bestanden hat«, räumte er ein, »nur, dass sie sich darauf geeinigt haben, als sie heirateten. Vielleicht hielt meine Mutter es auch für ihre Pflicht, weil sie ihm so sehr ergeben war. Oder sie wünschte mir einfach nur ein leichteres Leben, als sie es selbst gelebt hatte, frei von Vorurteilen. Sie wusste, dass ich als Jude keine Universität besuchen, keinen Sitz im Parlament erringen und Hunderte andere Dinge nicht tun würde können, die für jeden Engländer kein Problem darstellen.«
»Ihr habt sie nie danach gefragt?«
»Die Gelegenheit hat sich nie ergeben«, erwiderte er leise. »Ich war noch sehr jung, als sie starb. Meine Großmutter musste ihr versprechen, mich so aufzuziehen, wie sie und mein Vater es vereinbart hatten. Das Versprechen war nicht einfach für sie, denn es widersprach allem, woran sie glaubte, und mein Großvater hielt es schlichtweg für Unsinn. Aber sie hat sich daran gehalten.«
»Und Euer Vater?«
»Er kämpfte währenddessen unter Wellington in Spanien«, sagte der Duke, »und starb dort wenige Jahre später.«
»Und Eure Großeltern haben sich weiterhin um Euch gekümmert?«
»Nein, mein Großvater war inzwischen auch gestorben.« Gareth’ Stimme klang ausdruckslos. »Sein Geschäft hatte einen Rückschlag erlitten, von dem es sich nicht mehr erholte. Als mein Vater noch lebte, hat er meine Großmutter und mich unterstützt, so gut er konnte, doch als er dann auch verstarb, brachte meine Großmutter mich hierher. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte tun sollen.«
»Ich verstehe«, sagte Antonia ruhig. »Wie ... wie alt wart Ihr?«
Die Stimmung des Dukes hatte sich auf seltsame Weise verändert. Er war auf seinem Stuhl zusammengesunken, die Schultern vornübergebeugt, so als fühlte er sich in ihrer Gegenwart völlig entspannt, aber wäre auch unendlich müde. Er wirkte verletzlich, obwohl er doch ein energischer, atemberaubend gut aussehender Mann war, der das Leben und all die Versuchungen genießen sollte. Stattdessen machte er einen niedergedrückten Eindruck. Noch nie war sie einem solchen Mann begegnet; er war kein treuloser Lügner wie Eric damals und auch kein charmanter Schürzenjäger wie ihr Bruder. Und seltsamerweise schien er auch weder verbittert noch nachtragend zu sein. Sie begann sich zu fragen, ob nicht er von allen, ihren zweiten Ehemann miteingeschlossen, Anlass hätte, beides zu sein.
»Ich
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