Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
Also hatten sie etwas gemeinsam.«
Gareth grinste. »Ihr seid ein grausamer Mann, Mr. Kemble.«
»Nein«, widersprach der mit einer abwinkenden Handbewegung, »ich bin Cassandra, die Prophetin der Wahrheit. Davon abgesehen verließ Lambeth seine Geliebte und seine beiden Kinder in Hampstead sowie eine Reihe obszöner Sexpartnerinnen in Soho, als er Antonia geheiratet hat. Klingt das für Euch etwa nach Liebe?«
Gareth fragte sich, ob er überhaupt wusste, was Liebe war. »Keine Ahnung«, sagte er. »Und wie ist er gestorben?«
Kemble zuckte mit den Schultern. »So, wie er gelebt hat. Den meisten Männern ergeht es so, müsst Ihr wissen. Ich hörte, dass sein Zweispänner sich überschlagen hat, weil er bei Regen zu schnell gefahren ist. Der Unfall passierte vor seinem Landhaus, deshalb kenne ich die blutigen Details nicht – bis jetzt.«
»Ihr betont die letzten Worte auf eine Weise, die mich frösteln lässt«, sagte Gareth. »Ich glaube, ich habe genug gehört.«
»Nun gut«, erwiderte Kemble, »dann werde ich Euch eben nicht sagen, wer Euren Onkel getötet hat.«
Gareth’ Kopf fuhr hoch. »Hat ihn denn jemand getötet? Und Ihr wisst, wer?«
Kemble lächelte. »Höchstwahrscheinlich«, entgegnete er. »Übrigens nehmen garstige Menschen üblicherweise ein garstiges Ende.«
Gareth nippte nachdenklich an seinem Brandy. »Ich möchte, dass Ihr herausfindet, was genau passiert ist, Kemble«, sagte er schließlich. »Liefert mir die Wahrheit – und zwar schnell.«
Kemble machte eine theatralisch übertriebene Verbeugung. »Euer Wunsch ist mein Befehl, Euer Gnaden«, sagte er. »Dabei fällt mir ein, dass sich einige blaue Flecke schmerzhaft bemerkbar machen, die ich bei Lord Rothewells rasanter Kutschfahrt davongetragen habe. Ich denke, ich werde morgen einen Arzt aufsuchen.«
»Wegen einiger Prellungen?«
»Ich bin schrecklich empfindsam«, entgegnete Kemble. »Wie, sagtet Ihr, heißt doch noch gleich der Dorfarzt?«
Am Tag nach ihrer Ankunft wies alles darauf hin, dass Selsdons neue Hausgäste sich aufs Bleiben einrichteten – vielleicht sogar bis zur Jagdsaison. Gareth wusste, dass Rothewell damit teilweise vermeiden wollte, die Abreise seiner Schwester mitzuerleben, obwohl ihm dieser Grund ganz gewiss nicht im Mindesten bewusst war. Aber der Verstand des Barons arbeitete nun einmal auf diese Weise. Er hatte die beiden auf die Hochzeit folgenden Tage im Rausch verbracht. George Kembles Motive waren hingegen schwerer zu ergründen. Sehr wahrscheinlich hatte ihm Xanthia schlichtweg eine exorbitante Summe dafür gezahlt, dass er ihr einen Gefallen tat. Natürlich hätte Gareth wütend darüber sein sollen, dass derart in sein Leben eingegriffen wurde, aber er hatte andere, weitaus größere Sorgen als Xanthias Einmischung. Abgesehen davon hatte Rothewell recht: Kemble könnte sich als nützlich erweisen.
Nach dem Frühstück widmete sich Gareth im Arbeitszimmer einem Stapel Korrespondenz, von dem der Großteil aus Glückwunschschreiben von Leuten bestand, die er nicht kannte, die ihn aber nichtsdestotrotz in den vornehmen Kreisen des ländlichen Adels willkommen hießen. Er bezweifelte, dass auch nur einer der Schreiber ihm aufrichtig alles Gute wünschte. Die Mehrzahl war vermutlich insgeheim entsetzt. Schließlich war er für sie nichts anderes als ein halsabschneiderischer Jude aus der Arbeiterschicht, der mit dem verstorbenen Duke so entfernt verwandt war, dass er selbst es kaum erklären konnte. Für die Aristokratie war eine derart befleckte Vergangenheit ein Gräuel.
Rothewell war bis jetzt noch nicht aufgetaucht und würde das vermutlich bis Mittag auch nicht tun. Rastlos und nervös zog sich Gareth für einen Ausritt um und gab Anweisung, sein Pferd zu satteln. Seit seinem ersten Zusammentreffen mit Antonia hatte er den Tag gefürchtet, an dem er sich Knollwood würde anschauen müssen, doch jetzt konnte er es seltsamerweise nicht abwarten. Er hatte das Essen gestern Abend irgendwie durchgestanden, war unfähig gewesen, trotz der Anwesenheit der Gäste den Blick von ihr zu wenden. Seine Neugier in Bezug auf sie – man konnte es auch eine leichte Obsession nennen – wuchs. Es war klar, dass die Situation für sie beide leichter zu ertragen wäre, wenn einer von ihnen aus dem Haupthaus auszog. Zudem war Gareth es leid, ihr zu unverhofft begegnen zu können. Sein Herz schlug dann jedes Mal schneller, als wäre er ein verliebter Schuljunge.
Er würde sich nach einer Geliebten umsehen, sobald
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