Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
der Anwalt. »So wie auch der amtliche Leichenbeschauer. Zudem stammt die Duchess aus einer einflussreichen Familie. Niemand würde es wagen, sie öffentlich anzuklagen – nicht ohne einen zwingenden Beweis.«
»Obwohl in der englischen Gesellschaft doch allein schon der Hauch eines Skandals genügt ...« Xanthia fröstelte es plötzlich, und sie schüttelte den Kopf. »Die Duchess wird gesellschaftlich ruiniert sein.«
»Sie ist es schon fast, würde ich meinen«, stimmte Cavendish ihr traurig zu.
Mit seiner teuren Ledertasche in der Hand ging er die Treppe hinunter. Er wirkte erschöpfter als bei seiner Ankunft. In Xanthias Kopf schwirrten die Gedanken. Leise schloss sie die Bürotür und lehnte die Stirn gegen das kalte, polierte Holz.
Was, um alles in der Welt, war eben geschehen? Was hatte Gareth Lloyd all die Jahre vor ihr verborgen? Etwas Ernsteres als nur eine schreckliche Kindheit, wie es jetzt schien. Aber Gareth – ein Duke?
Abrupt hob sie den Kopf. Ihr Bruder Kieran könnte die Wahrheit kennen. Sie durchquerte das Zimmer, klingelte und stopfte die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch achtlos in ihre Tasche.
»Schickt nach meiner Kutsche«, trug sie dem jungen Angestellten auf, der ins Obergeschoss gekommen war und die Tür geöffnet hatte. »Ich werde mit Lord Rothewell zu Mittag essen.«
Kapitel 2
G abriel hielt die Hand seines Großvaters fest umklammert. Die sich schnell drehenden Kutschenräder und preschenden Hufe machten ihm Angst. Alle hatten es eilig, riefen lauthals durcheinander, stürzten sich in den Verkehr. Meshuggenehs, so hätte seine Großmutter diese Menschen genannt.
»Zayde , ich ... ich will nach Hause.«
Sein Großvater schaute ihn lächelnd an. »Was denn, gefällt es dir hier nicht, Gabriel? Das sollte es aber.«
»Warum? Es ist so hektisch hier.«
»Ja, es ist tatsächlich hektisch«, stimmte ihm sein Großvater zu, »weil dies hier das Herz Londons ist. Hier wird Geld gemacht. Auch du wirst eines Tages hier arbeiten. Vielleicht als Bankkaufmann oder als Börsenmakler. Würde dir das gefallen, Gabriel?«
Gabriel war verwirrt. »Ich ... ich denke, ich werde ein englischer Gentleman sein, Zayde .«
»Oi vey!« Sein Großvater nahm ihn auf den Arm. »Welchen Unsinn die Frauen dir beigebracht haben. Es ist nicht die Abstammung, die einen Mann macht. Ein Mann ist nichts, wenn er nicht arbeitet.«
Und dann überquerten sie zusammen die Straße und wurden ein Teil dieses verrückten, wimmelnden Gedränges.
Die Duchess of Warneham hatte sich in den Rosengarten von Selsdon zurückgezogen, um für eine Stunde allein zu sein, als Mr. Cavendish am darauffolgenden Vormittag eintraf. Sie trug einen Korb am Arm, aber nach einer Stunde ziellosen Umherstreifens hatte sie erst eine einzige Rose geschnitten, die sie noch immer in der Hand hielt.
Sie hing ihren Gedanken nach. Dachte an ihre Kinder, obwohl man ihr immer und immer wieder gesagt hatte, sie solle sich keine Gedanken machen. Dass es nicht gut sei, in der Vergangenheit zu verweilen. Aber hier, jenseits der einengenden Mauern des Hauses, konnte ihr Mutterherz in Frieden bluten. Sie hatte sich schon so vielem ergeben, doch ihrem Kummer, das schwor sie sich, würde sie nicht öffentlich erliegen.
Der Spätsommer war heiß. In der Luft lag die Vorahnung eines Regenschauers, aber die Duchess nahm es kaum wahr. Auch die Schritte des Anwalts ihres verstorbenen Mannes hörte sie nicht, bis er ihr auf halbem Weg entgegenkam. Sie schaute auf und sah ihn in respektvoller Entfernung warten, eine leichte Brise wirbelte verwelkte Rosenblätter um seine Füße.
»Guten Tag, Cavendish«, sagte sie ruhig. »Ihr seid sehr schnell aus London zurück.«
»Euer Gnaden.« Der Anwalt ging auf sie zu und machte eine elegante Verbeugung. »Ich bin in diesem Augenblick zurückgekommen.«
»Willkommen auf Selsdon«, erwiderte sie mechanisch. »Habt Ihr schon zu Mittag gegessen?«
»Ja, Euer Gnaden, in Croydon«, erwiderte er. »Und Ihr?«
»Pardon?«
»Habt Ihr etwas zu Euch genommen, Ma’am?«, drängte er. »Denkt daran, dass Dr. Osborne gesagt hat, Ihr müsstet essen.«
»Ja, natürlich«, murmelte sie. »Ich ... vielleicht später eine Kleinigkeit. Erzählt mir nun, was Ihr in London herausgefunden habt.«
Cavendish schaute unbehaglich drein. »Wie ich Euch versprochen hatte, bin ich direkt zu Neville Shipping gegangen. Doch ich bin nicht sicher, was ich dort erreicht habe.«
»Ihr habt ihn also gefunden?«, fragte sie. »Diesen Mann,
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