Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
wenn dein Anteil an Neville Shipping dich recht wohlhabend gemacht hat, kann sich das wahrscheinlich kaum mit dem Reichtum messen, den du geerbt hast.«
»Worauf willst du hinaus?« Die Worte klangen schärfer, als Gareth sie beabsichtigt hatte.
»Vielleicht kümmerst du dich um die falsche Sache.« Rothewell hatte mit dem Glas in der Hand begonnen im Zimmer auf und ab zu gehen. »Es liegt mir fern, einen Mann von deinem Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein zu belehren, aber ich lege dir wirklich ernsthaft nahe, dorthin zu fahren. Nach ... nach ... Wie heißt es gleich noch?«
»Selsdon Court.«
»Ah ja, Selsdon Court«, wiederholte Rothewell. »Wie pompös das klingt.«
»Das ist es auch. Obszön pompös geradezu.«
»Nun, obszön oder nicht, es gehört jetzt dir. Vielleicht solltest du dem Anwesen einen Besuch abstatten. Es ist nicht sehr weit, nicht wahr?«
Gareth zuckte mit den Schultern. »Eine halbe Tagesreise vielleicht. Man kann auch von Deptford aus mit dem Boot über den Croydon Kanal dorthin fahren.«
»Nur einen halben Tag?«, fragte Rothewell ungläubig. »Das ist doch gar nichts. Also los, kümmere dich um die Dinge, die am dringendsten sind, und sprich der schwarzen Witwe dein Beileid aus. Letztere waren übrigens Zees Worte, nicht meine.«
Gareth stöhnte auf. »Die Duchess ist eine kaltherzige Hexe, das ist allgemein bekannt«, sagte er. »Aber eine Mörderin? Das bezweifle ich. Sie würde es nicht riskieren, sich in den Augen der Gesellschaft zu ruinieren.«
Rothewell sah ihn seltsam an. »Wie ist sie denn so?«
Gareth wandte den Blick ab. »Damals war sie äußerst arrogant«, murmelte er, »aber nicht übermäßig grausam. Dafür war ihr Ehemann zuständig.«
»Ich frage mich, ob sie jetzt eine reiche Witwe ist.«
»Zweifellos«, sagte Gareth. »Warneham war geradezu unverschämt wohlhabend. Ihre Familie wird für großzügige Vereinbarungen gesorgt haben.«
»Und jetzt erwartet sie dich«, murmelte Rothewell. »Vielleicht sollst du hinsichtlich ihrer Zukunft eine Entscheidung treffen?«
Der Gedanke war Gareth noch gar nicht gekommen. Für einen kurzen Moment schwelgte er in der Fantasie, sie in die Kälte hinauszuwerfen, um sie dort verhungern – oder Schlimmeres – zu lassen. Doch er konnte keine Freude bei der Vorstellung empfinden – genau genommen konnte er es sich gar nicht erst vorstellen. Und ganz gewiss lag die Entscheidung über ihre Zukunft nicht bei ihm. Oder etwa doch?
»Du denkst darüber nach?«, fragte Rothewell.
Gareth antwortete nicht. Er wusste ja selbst kaum, wie ihm geschah. In all den schrecklichen Tagen, die seiner Verbannung von Selsdon Court gefolgt waren, hatte er nicht ein einziges Mal den Wunsch verspürt, dorthin zurückzukehren. Oh, anfangs hatte er sich viele Dinge gewünscht, die er nicht hatte haben können. Dinge, nach denen Kinder sich in ihrer Naivität sehnen. Eine freundliche Berührung. Einen warmen Herd. Ein Zuhause. Aber er hatte stets genau das Gegenteil bekommen. Kopfüber war er in die Abgründe der Hölle geworfen worden. Die Sehnsucht nach Liebe aus seiner Kindheit hatte sich in einen puren, unverfälschten Hass eines Mannes gewandelt. Und jetzt, da er nach Selsdon Court zurückkehren könnte – jetzt, da er ihrer aller Herr sein könnte –, empfand er Widerwillen bei dem Gedanken. Was für ein Spiel das Schicksal doch mit ihm gespielt hatte!
Rothewell räusperte sich und holte Gareth damit in die Gegenwart zurück. »Luke hat nie viel über deine Vergangenheit erzählt«, gab er zu. »Nur, dass du ein Waisenjunge bist, der aus guter Familie stammt, die schwierige Zeiten erlebt hat.«
Schwierige Zeiten. Luke Neville war immer ein Meister der Untertreibung gewesen. »Es war reines Glück, dass es mich nach Barbados verschlagen hat«, gab Gareth zu, »wo ich durch Gottes Gnade deinem Bruder begegnet bin.«
Rothewell lächelte. Eine seltene Gefühlsregung bei ihm. »Ich erinnere mich, dass er dich aufgegabelt hat, als du im Hafen vor einer Horde übler Seeleute geflüchtet bist.«
Gareth wandte den Blick ab. »Er hat mich am Kragen gepackt, weil er mich für einen Taschendieb hielt«, erwiderte er. »Luke war ein mutiger Mann.«
Rothewell zögerte. »Ja. Das war er wirklich.«
»Und ich ... großer Gott, ich muss ausgesehen haben wie eine halb ertrunkene Ratte.«
»Du warst nur Haut und Knochen, als er dich mit nach Hause brachte«, bestätigte Rothewell. »Es war schwer zu glauben, dass du schon – wie alt warst?
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