Verloren unter 100 Freunden
reduzieren lässt, »eben mit etwas zu interagieren«. Und es besteht die Gefahr, dass diese Reduktion zur Norm wird.
Als Kinder sehen wir die Welt in Teilen. Es gibt das Gute – die Dinge, die uns nähren und gedeihen lassen. Und es gibt das Schlechte – die Dinge, die uns frustrieren oder uns vorenthalten bleiben. Wenn Kinder älter werden, beginnen sie die Welt auf komplexere Weise zu betrachten, und erkennen, dass es neben Schwarz und Weiß noch viele Grauabstufungen gibt. Beispielsweise hat dieselbe Mutter, die uns stillt, manchmal vielleicht keine Milch. Im Laufe der Zeit wandeln wir eine Sammlung von Teilen in ein Verstehen des Ganzen um. 4 Indem wir die Teile in ein Ganzes integrieren, lernen wir, mit Enttäuschungen und Mehrdeutigkeit umzugehen. Und wir lernen, dass man seine Mitmenschen in ihrer ganzen Komplexität akzeptieren muss, um Beziehungen mit ihnen aufbauen zu können. Wenn wir uns einen Roboter als richtigen Gefährten vorstellen, können wir uns diese Mühe sparen.
Die erste Sache, die fehlt, wenn man einen Roboter als Gefährten wählt, ist die Alterität – die Fähigkeit, die Welt mit den Augen eines anderen zu betrachten. 5 Ohne diese Fähigkeit gibt es keine Empathie. Der Psychoanalytiker Heinz Kohut beschrieb – lange bevor Robotergefährten aufkamen – die Hindernisse der Alterität. Er schrieb über zerbrechliche Menschen, die er narzisstische Persönlichkeiten nennt und die nicht eine übersteigerte Eigenliebe kennzeichnet, sondern ein beschädigtes Ich-Gefühl. Sie versuchen sich abzustützen, indem sie andere Menschen in, wie Kohut es nennt, Ich-Objekte verwandeln. In dieser Rolle wird die andere Person als Teil des eigenen Ich wahrgenommen und steht deshalb im perfekten Einklang mit dem fragilen inneren Zustand. Das Ich-Objekt nimmt die Rolle dessen ein, was man braucht, doch Enttäuschungen sind in diesen Beziehungen unausweichlich. Bezugsartefakte (nicht nur die, die es gegenwärtig gibt, sondern die, die es ihren Entwicklern zufolge schon bald geben wird) stellen eindeutig gute Kandidaten für die Rolle des Ich-Objekts dar.
Falls sie den Anschein von Lebendigkeit erwecken können und dennoch nicht enttäuschen, eröffnen Bezugsartefakte wie der soziale Roboter neue Möglichkeiten für narzisstische Regungen. Man könnte sagen, dass, wenn Menschen andere Personen in Ich-Objekte verwandeln, sie im Grunde versuchen, den anderen zu einer Art Ersatzteil zu machen. Ein Roboter ist bereits ein Ersatz. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ergeben Bezugsartefakte als Nachfolger des so widerspenstigen Menschenmaterials einen gewissen »Sinn«. Ich bitte darum, die Anführungszeichen beim Wort »Sinn« zu beachten. Denn von einem Blickwinkel aus betrachtet, der Wert auf den Reichtum menschlicher Beziehungen legt, ergeben Bezugsartefakte überhaupt keinen Sinn. Ich-Objekte sind »Teil«-Objekte. Wenn wir uns ihrer bedienen, nehmen wir nicht die ganze Person an. Personen, die mit anderen Menschen nur als Teilobjekt umgehen können,
sind höchst anfällig für die Verlockungen eines Robotergefährten. Wer ihnen erliegt, wird in Beziehungen stranden, in denen es immer nur um eine Person geht.
Diese Diskussion über Roboter und psychologische Risiken führt uns zu einer wichtigen Unterscheidung. Es ist etwas ganz anderes, mit Robotern in Rollen aufzuwachsen, die traditionell dem Menschen vorbehalten waren, als wenn man als bereits sozialisierter Erwachsener zum ersten Mal mit Robotern in Berührung kommt. Kinder müssen mit Menschen zusammen sein, um Einfühlungsvermögen und Empathie zu entwickeln; mit einem Roboter zu interagieren kann dies nicht ersetzen. Erwachsene, die gelernt haben, mit anderen unbefangen und mühelos umzugehen und die entscheiden, sich mit weniger fordernden Arten des sozialen »Lebens« zu begnügen, sind weniger gefährdet. Doch ob Kind oder Erwachsener, wir sind anfällig für Vereinfachungen, die uns als Person schmälern könnten.
AIBOs Erziehung
Mit seinem Preis von 1300 bis 2000 Dollar ist AIBO für Erwachsene gedacht. Aber der Roboterhund ist ein Vorbote der digitalen Haustiere der Zukunft, und deshalb zeige ich ihn nicht nur Erwachsenen, sondern auch Kindern im Alter von vier bis dreizehn. Ich bringe ihn an Schulen, in Spielgruppen und, wie wir in späteren Kapiteln sehen werden, in Altenpflegeheime. Ich biete AIBOs für Heimstudien an, bei denen Familien die Roboterhunde zwei oder drei Wochen behalten dürfen. Manchmal untersuche ich Familien, die
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