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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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steht im Vordergrund, was die neuen Technologien uns ermöglichen . Mit der Psychopharmakologie nähern wir uns dem menschlichen Verstand als einer biologisch steuerbaren Maschine. 16 Die computertomografische Darstellung des Hirns suggeriert uns, dass selbst Dinge wie Gefühle auf ihr Aussehen reduzierbar seien. Unsere gegenwärtige therapeutische Kultur wendet sich vom Innenleben ab und richtet den Fokus auf die Verhaltensmechanik, auf etwas, das Menschen und Roboter gemeinsam haben könnten.

    Ein Vierteljahrhundert liegt zwischen zwei Gesprächen, die ich über die Möglichkeit geführt habe, einen Roboter zum Vertrauten zu haben. Das erste Gespräch fand 1983 statt, das zweite 2008. Für mich veranschaulichen die Unterschiede zwischen den Gesprächen die Bewegung weg von der romantischen Reaktion hin zum Pragmatismus in der Stunde des Roboters. Beide Gespräche fanden mit männlichen Jugendlichen aus demselben Viertel in Boston statt; beide Gesprächspartner waren Fans des örtlichen Baseballteams und haben enge Beziehungen zu ihren Vätern.
    1983 sprach der dreizehnjährige Bruce mit mir über Roboter und stritt für die einzigartige »Emotionalität« des Menschen. Er meinte, dass Computer und Roboter »perfekt« seien, Menschen hingegen wären »unvollkommen«, hätten Fehler und seien verletzlich. »Roboter«, sagte er, »machen alles richtig«; Menschen machen es, »so gut sie können«. Aber für Bruce war es gerade diese Unvollkommenheit, die beispielsweise die enge Verbundenheit zu seinem Vater erst möglich machte (»Ich habe vieles mit ihm gemeinsam … Wir sind beide chaotisch«). Perfekte Roboter könnten diese so wichtige Beziehung nie verstehen oder simulieren. Wenn man ein Problem hatte, dann wandte man sich an einen Mitmenschen.
    Fünfundzwanzig Jahre später geht ein Gespräch über das gleiche Thema in eine ganz andere Richtung. Der fünfzehnjährige Howard vergleicht seinen Vater mit einem Robotergefährten, und sein Vater schneidet bei diesem Vergleich nicht gut ab. Howard glaubt, ein Roboter könnte sich besser in die Feinheiten des Highschool-Lebens hineinversetzen. »Seine Datenbank wäre größer als die meines Vaters. Der weiß zwar eine Menge, aber nicht genug über die Highschool.«
    Im Gegensatz zu Bruce, der Roboter für unfähig hielt, sich eine qualifizierte Meinung über innerfamiliäre Vorgänge zu bilden, hofft Howard auf Roboter, die eigens für den Umgang mit »alten Leuten
und Kindern« entwickelt werden – also für Aufgaben, die in seiner Umgebung offenbar mangelhaft erfüllt werden.
    Howard macht sich keine Illusionen über die Einzigartigkeit von Menschen. Für ihn haben sie »kein Monopol« darin, einander zu verstehen oder füreinander zu sorgen. Jeder Mensch sei durch seine persönliche Lebenserfahrung geprägt, sagt Howard, aber »Computer und Roboter kann man mit einer grenzenlosen Informationsmenge füttern«. Er erzählt eine Geschichte, um zu veranschaulichen, wie ein Roboter ihm bessere Ratschläge erteilen könnte als sein Vater. Früher in dem betreffenden Jahr hatte Howard sich in ein Mädchen verliebt, das schon einen Freund hatte. Howard sprach mit seinem Vater darüber, ob er das Mädchen trotzdem bitten sollte, mit ihm auszugehen. Sein Vater, der sich auf ein Erlebnis in seiner Highschool-Zeit berief und ein für Howard aus der Mode gekommenes Macho-Ideal vertritt, riet ihm, das Mädchen einzuladen, obwohl es einen Freund hatte. Howard ignorierte den Rat seines Vaters, weil er Unannehmlichkeiten fürchtete. Er war sich sicher, dass ein Roboter ihm einen klügeren Rat erteilt hätte. Man habe in dem Roboter »unzählige Erfahrungswerte abrufen können«, die dann zur bestmöglichen Antwort geführt hätten, während seinem Vater nur eine begrenzte Datenmenge zur Verfügung gestanden habe. »Robotern kann man beibringen, Dinge wie Eifersucht zu verstehen, indem sie das menschliche Verhalten beobachten … Ein Roboter könnte letztlich alles verstehen und vorurteilslos urteilen.« Howard findet, dass ein Roboter als Vertrauter die bessere Option sei. »Menschen«, sagt er, »sind keine verlässlichen Ratgeber.« Roboter seien »treffsicher«.
    »Es gibt Dinge, die kann man seinen Freunden oder seinen Eltern nicht erzählen … einem KI-Roboter schon. Der würde einem einen Rat erteilen, mit dem man besser führe … Ich denke, der Roboter wäre
mit dem Wissen um vergleichbare Situationen und ihren Ausgang programmiert. Er würde mich kennen und wüsste

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