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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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mechanischen Angelegenheit wird, sind wir schneller gewillt, ihn einer Maschine zu übertragen. Aber selbst wenn der Job noch von Menschen erledigt wird, muten diese Leute und deren Kunden einen wie Maschinen an.
    Nach und nach scheinen immer größere Teile des Lebens bereit
für den Einsatz von Maschinen, selbst wenn es um unsere Kinder und unsere Eltern geht. Tony versucht vor allem das Gute zu sehen. Alzheimer-Patienten können von einem fein justierten Roboter versorgt werden. 28 Kinder werden die Aufmerksamkeit von Maschinen erhalten, die sich nicht an »stinkenden Windeln und dem ganzen Drumherum« stören. Und doch spürt Tony, dass ihn etwas bei der Sache stört: Der Roboter erscheint ihm so lange sinnvoll, bis ihm die Affenbabys einfallen, denen man die Mutter vorenthält und die sich stattdessen an Drahtgestelle und Frotteetücher klammern.
    Diese letzte Reaktion könnte irgendwann wie eine typisch westliche Haltung anmuten. In Japan kennt die Begeisterung für Roboter jedenfalls keine Grenzen. 29 Philosophisch wurde die nötige Vorarbeit geleistet. Japanische Roboter-Konstrukteure betonen gern, dass in ihrem Land sogar abgenutzte Nähmaschinennadeln feierlich begraben würden. In einigen Schreinen Japans erhalten selbst Puppen, darunter auch Sexpuppen, ein formelles Begräbnis. Es ist unter Japanern eine gängige Auffassung, dass auch leblose Objekte Lebenskraft besitzen. Wenn eine Nadel eine Seele hat, warum dann nicht auch ein Roboter? In Japan wird in einer landesweiten Werbekampagne eine Zukunft porträtiert, in der Roboter auf Babys aufpassen sowie die Hausarbeit erledigen und Frauen dadurch wieder mehr Zeit finden, um neue Kinder in die Welt zu setzen – die traditionellen Werte des japanischen Heims werden bewahrt, und gleichzeitig wird für eine Gesellschaft, die durch das vernetzte Leben zunehmend isoliert ist, eine neue Geselligkeit gefördert.
    Japaner nehmen es als gegeben hin, dass Handys, SMS, E-Mails und Online-Spiele soziale Isolation erzeugt haben. Sie sehen, wie Menschen sich von ihren Familien abwenden, um ihr Augenmerk auf ihre Monitore zu richten. Die Menschen treffen sich nicht mehr persönlich, treten nicht mehr in Vereine ein. In Japan werden Roboter als Ersatz für menschliche Kontakte präsentiert, die das vernetzte
Leben zerstört hat. Die Technologie hat uns korrumpiert; Roboter werden unsere Wunden heilen.
    Wir kehren zum Ausgangspunkt zurück. Roboter, die uns zu immer intensiveren Beziehungen mit dem Leblosen verleiten, werden als Heilmittel gegen unser zu intensives Eintauchen in die digitale Konnektivität dargestellt. Roboter, so die japanische Hoffnung, werden uns zum physisch Realen zurückführen und dadurch auch zueinander.
    Wenn das mal gutgeht.

TEIL ZWEI
Vernetzt
    Neue Einsamkeit unter Freunden

8. Kapitel
Immer online
    Pia Lindman lief mit Cyborg-Träumen durch die Gänge des MIT. Sie war nicht die Erste. Im Sommer 1996 traf ich mich am MIT Media Lab mit sieben jungen Forschern, in deren Rucksäcken und Taschen Computer, Funksender und Tastaturen steckten. Digitaldisplays waren an Brillengestellen festgeklemmt. 1 So ausgerüstet nannten sie sich die »Cyborgs« und waren permanent drahtlos mit dem Internet verbunden, immer online, unabhängig von Schreibtischen und Kabeln. Die Gruppe war im Begriff, drei neue »Borgs« in die Welt zu entsenden, drei weitere, die gleichzeitig in der Realität und der Virtualität leben würden. Mich rührten Pia Lindman und diese Cyborgs. Ich bewunderte ihre Durchhaltekraft und Opferbereitschaft für die Vision, mit der Technologie eins zu werden. Als ihre beschwerliche Ausrüstung den Cyborgs in die Haut einschnitt, erst Wunden und dann Narben hinterließ, lernten sie, sich nichts daraus zu machen. Als ihre Ungelenkheit dazu führte, dass man sie für körperbehindert hielt, lernten sie, geduldig zu sein und Erklärungen zu liefern.
    Am MIT wurde viel darüber geredet, was die Cyborgs wohl bezweckten. Befürworter an der Fakultät betonten, wie sehr das permanente Online-Sein Produktivität und Gedächtnisleistung steigern könne. Die Cyborgs, so hieß es, mochten Exoten sein, aber diese Technologie bräuchte niemanden zu beunruhigen. Sie sei »lediglich ein Werkzeug«, um sich in einer zunehmend komplexen Informationsumgebung besser zurechtzufinden. Das Gehirn bräuchte Hilfe.

    Von den Cyborgs selbst bekam ich allerdings eine andere Geschichte zu hören. Sie fühlten sich wie neue Wesen. Einer von ihnen, Mitte zwanzig, sagte,

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