Verlorene Eier
zehn Tonnen lebendem Rinderfleisch trennt.
»Könnten sie, aber sie tun es nicht. In Wahrheit sind es sehr scheue und friedliebende Geschöpfe. Pass auf.«
Ich klatsche in die Hände, worauf die Jungs kollektiv einen Schritt zurücktreten.
»Hey, das ist ja cool. Darf ich auch mal?«
»Klar.«
Er klatscht in die Hände. Sie zeigen sich nicht im Mindesten beeindruckt. Ich sage zu ihm, er solle einige Momente lang ganz still stehen bleiben und dann eine abrupte Bewegung machen. Doch wieder passiert nichts. Die Jungs betrachten ihn eher so wie früher Eric – als eine Lebensform, die man problemlos ignorieren kann.
»Versuch’s noch mal.«
»Ist schon okay«, wiegelt er resigniert ab.
»Soll ich dir erzählen, wie sie geschlachtet werden?«
Eigentlich freue ich mich darauf, ihn mit den blutigen Details über Bolzenschussgeräte, Fußfesseln und Stiche in die Halsschlagader zu schocken. Doch er meint nur: »Ach nö, ist schon okay.« Offenbar zeigt die Tatsache, dass er den Tieren unmittelbar gegenübersteht, Wirkung. Er scheint völlig fasziniert von ihren Kuhgesichtern, ihren breiten, feuchten Nasen und ihren seltsam weiblichen Wimpern zu sein.
»Was haben Sie sonst noch hier?«, fragt er, und zum ersten Mal entdecke ich einen Anflug von … okay, vielleicht nicht Zuneigung, aber doch zumindest Akzeptanz in seiner Stimme.
»Na ja«, sage ich und gehe ums Haus herum, »früher gab es hier mal Bienen.«
»Solche, die ausschwärmen und jemanden stechen, dass er stirbt und so?« Nun, da er sich wieder im Reich der Fantasie befindet, fühlt er sich sichtlich wohler.
»Oh ja, allerdings«, bestätige ich. »Die Leute züchten sie sogar, damit sie ihre Feinde töten.«
Die Augen des Jungen weiten sich, auch wenn ein skeptischer Zug um seinen Mund bleibt. »Geht so was denn?«
»Aber natürlich. Man braucht nur eine besondere Bienenart dafür. Die Shropshire-Jagdbienen wurden schon seit Jahrhunderten dafür eingesetzt. Sie waren sehr hilfreich, um Schlösser und Burgen anzugreifen, weil sie durch die Spalten in den Steinen fliegen konnten.«
Ein Teil von ihm glaubt mir, der andere zweifelt noch. »Und wo sind Ihre Bienen?«
»Nun ja, wie man weiß, sterben sie, nachdem sie gestochen haben. Deshalb kann man sie nur einmal einsetzen. Ein Schwarm … eine Mission.«
Tick, tick, tick. Ich warte, bis der Groschen fällt.
Ihm fällt die Kinnlade herunter. »Und wo sind Ihre Bienen? Haben Sie … haben die Bienen …«
Ich beuge mich zu ihm hinunter, um meinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen. »Sagen wir einfach, ein bestimmtes Problem ist nun kein Problem mehr.«
»Wooo«, stößt Arthur hervor, »das ist ja supercool.«
Ich habe keine Ahnung, ob er mir tatsächlich glaubt oder nur die Geschichte toll findet.
20
Aus den Zutaten, die sie im Kühlschrank und in den Küchenschränken findet, schustert Amber eine Art Eintopf zusammen, doch ihr Talent als Köchin ist ziemlich überschaubar.
»Tut mir leid«, sagt sie, als wir uns an den alten Pinientisch setzen und die Pampe mit dunklem Brot hinunterzuwürgen beginnen. »Das ist wohl in die Hose gegangen.«
»Mom, das sieht ja wie Kotze aus!«
»Sei nicht unverschämt, Arthur.« Aber das Urteil des Jungen ist leider die traurige Wahrheit. Die Suppe sieht aus, als wäre sie schon einmal gegessen worden.
Daphne begnügt sich mit einem eingehenden Blick. »Ich esse sowieso nur wie ein Spatz«, verkündet sie und schiebt ihren Teller beiseite. »Wo ist Ihr Weinkeller?«
Das alte Mädchen hat meine Bestände bis auf die Weihnachtsliköre und exotischen Schnäpse, die man üblicherweise von irgendwelchen Urlaubsreisen mitbringt, niedergemacht.
»Vielleicht schmeckt Ihnen ja der hier«, schlage ich vor und stelle eine steinalte Flasche Crème de Cacao vor ihr auf den Tisch.
»Wenn Sie Brandy im Haus hätten, könnten wir wenigstens Brandy Alexander mixen. Den habe ich früher immer mit der armen Minty Sloane in Antibes getrunken.« Die braune Flüssigkeit sickert zähflüssig in ihr Glas. »Alle tot. Wir waren so unglaublich jung.«
»Und so unglaublich betrunken«, liegt mir auf der Zunge.
Keith ruft an. Er ist bereits unterwegs, doch auf der M 1 in nördlicher Richtung in der Nähe von Leicester hat es einen Unfall gegeben. Er hofft jedoch, dass er es noch vor Einbruch der Dunkelheit schafft. Meine Stimmung hebt sich augenblicklich. Selbst wenn er sich mehr mit Fischerei als mit der Bekämpfung von üblen Gangstern auskennt, wird er zweifellos zur
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