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Verlorene Eier

Verlorene Eier

Titel: Verlorene Eier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Scarlett
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Wohlfahrt, ja?
    Ich habe jetzt keine Zeit für so etwas, verstanden?, blaffe ich zurück (wahrscheinlich in voller Lautstärke).
    Als ich nach unten komme, finde ich Daphne tot vor.
    Sie liegt ausgestreckt vor dem Kamin. Ihre Kniestrümpfe sind bis zu den Knöcheln heruntergerutscht und enthüllen ein Netz aus bläulich-schwarzen Venen, das sich über ihre Unterschenkel zieht. Sie muss hingefallen sein und sich den Kopf am Schutzgitter angeschlagen haben. Ich kann zwar nirgendwo Blut entdecken, doch mir ist auf der Stelle klar, dass der Tag ihrer lange herbeigesehnten Heimkehr nun gekommen ist. Und ich brauche keine Sekunde darüber nachzudenken, was zu tun ist. Es hat etwas seltsam Befriedigendes, im Augenblick einer Krise so kühl und überlegt reagieren zu können. Gerade als ich mich frage, ob es daran liegt, dass Angela diejenige mit der größeren Selbstbeherrschung ist, spricht die Leiche zu mir.
    »Da sind Sie ja endlich, Sie Mistkerl!«, blafft sie mich an und rammt einen Stock in ein Loch im Ziegelwerk knapp über dem Fußboden.
    »Sie haben eine Maus hier im Haus!«, wettert sie. »Das elende Vieh hat meine Kekse angefressen.«
    »Daphne, meine Liebe, Sie haben mir einen Heidenschreck eingejagt.«
    Ich helfe ihr auf die Füße. »Sie dachten, ich sei tot, stimmt’s?«
    »Tut mir leid, aber das habe ich tatsächlich getan.«
    »Mir täte es nicht leid. Ich wäre sogar froh drüber.«
    »Ja, ja, meine Liebe.« Irgendwie kommt mir das bekannt vor.
    »Ich nenne es heimkehren.«
    »Haben Sie schon gefrühstückt?«
    »Als ich noch ein kleines Mädchen war, habe ich mich immer auf den Boden gelegt und mir ausgemalt, wie mich die Lebensgeister verlassen. Mama hat jedes Mal wie am Spieß geschrien, wenn sie mich auf dem Küchenboden liegend gefunden hat, aber irgendwann hat sie sich daran gewöhnt, die Ärmste. Bei uns im Dorf gab es einen reizenden kleinen Jungen. Wir haben Stunden damit zugebracht, Leiche zu spielen. Aber nachdem im Krieg eine Bombe direkt neben ihm eingeschlagen hat, war er nie wieder derselbe. Haben Sie zufällig Salzheringe im Haus?«
    Als Amber hinreißend verschlafen die Treppe heruntergetappt kommt, stockt mir beinahe der Atem. Das klare Sonnenlicht dieses wunderbaren Morgens lässt ihre Augen wie Sterne strahlen. Sie tritt ans Fenster und blickt auf die malerische Landschaft von Shropshire hinaus.
    »Oh mein Gott, wie schön es hier ist.«
    »Ja, wunderschön, nicht?«, erwidere ich und schlucke gegen den Kloß in meinem Hals an.
    »Angela, es ist einfach wunderschön. Ich … mir fällt kein anderes Wort dafür ein.«
    Sie hat völlig recht. Und in diesem Moment wird mir bewusst, warum mich ihre Reaktion so berührt: In den ganzen sechs Tagen ihres Aufenthalts hat Claire dieses Wort nicht ein einziges Mal in den Mund genommen.
    18
    Nach dem Frühstück schlüpfe ich in ein altes Paar Gummistiefel und einen Trenchcoat und schlage vor, einen Spaziergang zu machen. Wie es aussieht, hat der Satansbraten nichts dagegen, solange bei Daphne im Haus zu bleiben. Die beiden können ja eine Runde »Legen wir uns auf den Boden und tun so, als wären wir tot« spielen.
    Es ist einer dieser kristallklaren Morgen, an dem die Tautropfen auf den Blättern und Halmen glitzern, die Vögel lautstark zwitschern und sich die Farben förmlich in die Augäpfel zu brennen scheinen. Ich führe Amber den Weg entlang bis zur Grenze zum Torfmoor und erkläre ihr, wie die Männer früher den weichen Boden abgetragen und in Torfblöcke zum Heizen gepresst haben. Am Horizont reihen sich die Hügel aneinander, deren Namen ich mir nie gemerkt habe, weil es mich nicht interessiert hat.
    »Ich fühle mich hier so sicher«, sagt sie. »So, als könnte nichts Schlimmes passieren.«
    Entspannt schlendern wir den Pfad entlang durch das niedrige Gebüsch, in dem einige der seltensten und schönsten Schmetterlinge Großbritanniens beheimatet sind. Und sie hat völlig recht. In dieser zeitlosen Friedlichkeit des Torfmoors scheint alles, was irgendwie Ärger bedeutet, meilenweit weg zu sein.
    »Eigentlich hatte ich ja erwartet, ein paar Hunde und Pferde hier zu sehen. Und Bienen.«
    Ich borge mir eine Geschichte, die ich beim Yergel-Abendessen von George gehört habe. »Früher habe ich meinen Bienen immer etwas vorgesungen. Eine Züchterkollegin hat mir erzählt, dass sie am liebsten Oldies hören. Aber das stimmte nicht. Totaler Schwachsinn, so würden Sie es wohl bezeichnen.«
    Sie lacht. »Wie lustig.«
    Wir bleiben stehen,

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