Verlorene Eier
ich, ohne Arthur dabei anzusehen. Stattdessen mustere ich Philly eingehend. Ein Teil von ihm – vielleicht der kleine Junge, der er selbst einmal war – scheint zu begreifen, dass ich den Knirps um jeden Preis beschützen will. Unsere Blicke begegnen sich. Er nickt.
»Ich bin sicher, Mr Skinner wird gut auf Arthur achtgeben«, sage ich zu Amber, auf deren Zügen der zarte Hauch eines Lächelns erscheint.
Während die beiden nach draußen gehen, wäge ich ab, welche Chance ich gegen Philly habe. Das Überraschungsmoment hätte ich eindeutig auf meiner Seite, viel mehr aber auch nicht. Obwohl ich mich noch nie mit Perücke und einem BH voller Hühnerfilets geprügelt habe, bin ich einigermaßen sicher, dass sie bei einem Zweikampf ziemlich hinderlich wären.
»Herzblatt …«, sagt er.
»Philly, hör zu. Was aus mir wird, ist mir völlig egal. Aber schwöre, dass du Arthur nichts tun wirst.«
»Moment, Moment. Lass uns noch mal zurückspulen und löschen, was du da gerade gesagt hast. Sehe ich vielleicht aus wie einer, der einem Kind was antut? Meinst du das im Ernst?«
»Ich weiß nicht mehr, wer du bist, Philly«, erwidert sie leise. Tränen kullern aus ihren bernsteinfarbenen Augen. Instinktiv strecke ich die Hand aus und drücke ihren Arm. Mein Blick fällt auf den Buddha auf dem Kaminsims, und ich sehe ihn im Geiste auf Mr Paintbrushs Hinterkopf donnern.
»Du hast vergessen, was für ein toller Typ ich sein kann, Herzblatt. Aber das ist nur verständlich. Ich war schließlich lange weg.« Er zaubert ein Lächeln auf seine Züge, das diese Bezeichnung jedoch nicht ganz verdient, weil es nicht bis zu seinen Augen reicht.
Daphne regt sich im Schlaf. Die Ärmste hängt nicht gerade in der vorteilhaftesten Haltung mit halb geöffnetem Mund im Sessel und gibt leise gurgelnde Schnarchlaute von sich.
»Hey, wann wacht diese alte Schachtel endlich von ihrem Nickerchen auf? Wer seid ihr eigentlich alle hier?«
»Daphne ist Schriftstellerin«, antworte ich ihm. »Genauso wie ich.«
»Ihr seid Schriftstellerinnen? Ehrlich? Und was schreibt ihr so?«
»Romantische Unterhaltungsromane. Daphne hat mehr als hundert Titel geschrieben.«
»Titel? Also schreibt sie gar keine Bücher, sondern nur die Titel dafür, oder was?«
»Wie?
»War nur ein kleiner Scherz, Lady. Meine Güte, wir können schließlich nicht alle so schlagfertig wie Jay Leno sein, oder?«
»Entschuldigung.« Ich blinzle und zupfe eine Ponyfranse zurecht. Keith wäre stolz auf mich gewesen.
»Also Liebesromane, ja? Herzblatt steht ja auf diesen Küsschen-Küsschen-Schwachsinn. Bevor sie mich beim FBI verpfiffen hat, hat sie gemeint, ich sei so eine Art düsterer romantischer Held, habe ich recht, Herzblatt? Sie hat mich ihren Captain Jack Irgendwas genannt, stimmt’s, Herzblatt?«
Herzblatt windet sich vor Verlegenheit, während ich nur staunen kann. Offenbar spielt er auf Jack Dashwood an, den temperamentvollen, launenhaften Protagonisten meines ersten Romans, zu dem sich die bezaubernde und großherzige Carla Maltravers aufgrund seiner düsteren Aura und der Ahnung, in seinem Innern müsse ein tiefer Schmerz toben, so unwiderstehlich hingezogen gefühlt hatte.
»Aber klar. Damals hatte sie noch eine ganz andere Meinung von mir.«
»Bevor sie …«, platze ich unwillkürlich heraus.
»Bevor sie herausgefunden hat, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene?« Philly starrt mich finster an. »War es das, was Sie sagen wollten?«
»Noch ein Schluck Tee?«
»Nette Freundinnen hast du da, Herzblatt. Wieso spucken Sie’s nicht einfach aus? Bevor sie herausgefunden hat, dass ich Al Capone bin.« Mit der Spitze seines Cowboystiefels stößt er Daphnes Fuß an. »Hey, Oma. Du verpasst ja die ganze Party.«
Daphnes Lider öffnen sich wie die eines Reptils, das sich auf einem Felsen gesonnt hat, und ihre wässrig-grauen Augen heften sich auf ihn.
»Hat Eddy Sie hergeschickt?«, blafft sie.
»Was?«
»Sind Sie taub? Ich habe gefragt, ob Eddy Sie hergeschickt hat. Sind Sie hier, um mich nach The Hall zurückzubringen?«
Philly zieht eine Grimasse, hebt die Hand und beschreibt mit dem Zeigefinger einen Kreis auf Schläfenhöhe. Beim Anblick dieser durchaus eindrucksvollen komödiantischen Einlage muss ich mir ein Grinsen verkneifen. Der nette, brave Philly.
»Ist er Waliser?«, fragt Daphne. »Ich verstehe kein Wort von dem, was er sagt.«
»Er ist Amerikaner, meine Liebe«, informiere ich sie.
»Wissen Sie, an wen er mich erinnert? An
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