Verlorene Eier
das nicht, Ma’am. Tatsache ist … nun ja, nicht so wichtig. Er mag eben gern Bananen, das ist alles. Er isst ständig Bananen.«
»Wie faszinierend .«
»Und drüben auf der East Side gibt es einen Billy Red Shoes.«
»Lassen Sie mich raten«, sagt Kiki. »Weil er gern rote Schuhe trägt, oui ?«
Einen Moment lang scheint Philly in sich zusammenzufallen und sieht plötzlich müde aus. Man würde nicht glauben, wie anstrengend es ist, ständig die Fassade des coolen Großstadt-Gangsters aufrechtzuerhalten.
»Nun, Ma’am. Er bekam diesen Namen, als ihm ein Konkurrent ein Messer in den Leib gerammt hat und ihm das Blut auf die Schuhe tropfte.«
»Natürlich sind Sie alle viel zu jung, um sich an die berüchtigten Kray-Brüder zu erinnern«, trompetet Daphne plötzlich. »Einer von denen hat in den Sechzigern mal für mich geschwärmt. Der sensible …«
»Ronnie?«, schlage ich vor.
»Nein, Aidan. Der, der als Florist gearbeitet hat. Er hat versucht, mich bei einem Picknick am Ufer in Henley mit Champagner und Erdbeeren rumzukriegen. Wie süß. Doch leider hat er mir einen riesigen Strauß Lilien mitgebracht. Der arme Kerl konnte ja nicht wissen, dass ich Lilien auf den Tod nicht ausstehen kann. Fürchterliche Dinger. Wir haben sie Sir Malcolm Sargent auf den Sarg gelegt. Was für ein Glücksfall! Der Ärmste ist bei einem Jachtunfall ums Leben gekommen. Oder war er Flötist? Ach, der reizende Aidan. Hatte einen hübschen dicken Schwanz. Aber ich nehme an, auch er liegt längst unter der Erde. Und ich bin als Nächste an der Reihe. Ich freue mich schon darauf.«
Kiki und ich tauschen einen Blick. Dann tauschen alle anderen Blicke. Lange Zeit herrscht Stille im Raum.
»Können wir jetzt nach Hause gehen, Mom? Diese alten Leute machen mir Angst.«
4
Es stellt sich heraus, dass Philly seine Malsachen mitgebracht hat. Inzwischen hat er seine Staffelei aufgestellt und Kiki ermutigt, eine halb abgewandte Pose einzunehmen und über die Schulter zu sehen. Auf diese Weise entsteht ein Blickwinkel, der beispielsweise ein üppiges Dekolleté perfekt zur Geltung zu bringen vermag. Sofern man rein zufällig eines besitzt. Während Philly versucht, den Stuhl in eine Position zu rücken, um das durch die kleinen Fenster einfallende Licht möglichst perfekt einzufangen, scheint Kiki seine Zuwendung in vollen Zügen zu genießen. Für ihr Empfinden ist dies ein weiterer Beweis dafür, dass sie jederzeit und völlig problemlos als Frau durchgeht. Ich könnte sogar schwören, dass sie mir einmal vielsagend zugezwinkert hat. Amber hingegen scheint weniger gute Laune zu haben. Wahrscheinlich denkt sie gerade an den Tag, als sie Philly das erste Mal Modell gesessen hat, nur um am Ende das schauderhafte Ergebnis in Händen zu halten. Arthur blättert unterdessen gelangweilt in einem Bildband über das Shropshire des Viktorianischen Zeitalters, und Daphne … nun ja, was soll ich sagen? Allem Anschein nach schwelgt sie in einer Art Tagtraum, möglicherweise von jenem Tag, als Aidan Kray, der blumenbindende Spross des legendären East Londoner Gangsterclans, sie zu verführen versucht hat. Rattengesicht steht ein Stück abseits und betrachtet seinen amerikanischen Kollegen leicht verwirrt, als wäre ihm das Ganze ein völliges Rätsel.
Philly hat einen Kittel übergestreift, um seine Kleider nicht schmutzig zu machen, verteilt ein paar Farbkleckse auf der Palette und macht sich nun bereit, die ersten Pinselstriche aufs Papier zu bringen.
»Wo haben Sie denn Malen gelernt, Mr Pascocello?«, erkundigt sich Kiki.
Philly hat sich den Pinsel quer zwischen die Zähne geklemmt, was ihn wie einen verführerischen Piraten aussehen lässt. »In Juvie Hall«, antwortet er. Im Eifer des kreativen Gefechts hat er offenbar völlig vergessen, dass er ja in Wahrheit ein berüchtigter, angsteinflößender Gangster ist.
»Ist das eine Kunsthochschule?«
»Für eine Ausbildung hat’s jedenfalls gereicht, so viel steht fest. Hey, Sie brauchen erst zu lächeln, wenn ich zu Ihrem Gesicht komme.«
»Ich lächle aus reiner joie de vivre , Mr Paintbrush. Das ist für mich die Definition von Spaß.«
Ich setze mich neben Amber aufs Sofa und lege ihr einen Arm um die Schultern. Als sie sich mir zuwendet, sehe ich die Hoffnungslosigkeit in ihren Augen.
»Keine Sorge«, sage ich kaum hörbar. »Ich hole Sie da raus.«
»Völlig unmöglich«, flüstert sie. »Das schaffen Sie nie. Sie kennen Philly nicht.«
»Ich lasse mir etwas einfallen.
Weitere Kostenlose Bücher