Verlorene Eier
entsetzliche Stille im Raum. Schon wieder. Scheint in letzter Zeit erschreckend häufig vorzukommen. Ich registriere, dass Kiki den richtigen Moment verpasst hat, von ihrem Stuhl aufzuspringen und sich auf Philly zu stürzen. Aus ihrer Miene – mittlerweile ist das strahlende Lächeln eher einem Ausdruck blanken Entsetzens gewichen – schließe ich, dass das Projekt wegen unvorhergesehener Umstände auf unabsehbare Zeit verschoben werden muss. Ich wende den Kopf und schaue Philly an, der wie ein Piratenkapitän auf mich heruntersieht, was nicht zuletzt an dem Pinsel quer in seinem Mund liegt. Etwas sagt mir, dass er eine Erklärung verdient hat.
»Eine Spinne«, winsele ich. »Da war eine Spinne. Ich kann diese Viecher nicht ausstehen.« Sein Blick ist auf den dicken Buddha in meiner Hand gefallen. »Ich, äh, meistens befördere ich sie mit Meister Buddha ins Jenseits. Sie wissen schon, eine weitere Runde im Rad des Lebens und so …«
Philly fällt die Kinnlade herunter, so dass ihm prompt der Pinsel entgleitet, während sich ein hässliches, boshaftes Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitet.
»Sobald Mr Skinner wieder hier ist, hauen wir ab. Los, Herzblatt, hol eure Sachen.«
»Oh, aber was ist mit dem Portrait, Mr Pascocello?«, protestiert Kiki.
»Herzblatt hat völlig recht. Gesichter kriege ich sowieso nicht gut hin. Schaffen Sie es, heute noch mal aufzustehen, Lady, oder wie sieht’s aus?«
»Ja, mein Lieber. Natürlich.«
Unter weiterem Knacken und Ploppen meiner Knie hieve ich mich wieder in die Vertikale. Ob ich rot geworden bin? Mein Gesicht fühlt sich wie eine überreife Tomate an. Hat er mir mein Gefasel von der Spinne abgekauft? Sieht nicht danach aus. Philly zieht seine Waffe aus dem Hosenbund und beginnt, in der Ecke des Wohnzimmers auf und ab zu gehen.
Amber schnappt nach Luft. »Philly, nein!«
»Nur die Ruhe, Herzblatt. Ich bringe nur den Job zu Ende.« Philly zielt mit der Sig auf die Leinwand, ehe er sich Kiki zuwendet. »Vielleicht möchten Sie lieber aufstehen, Schätzchen. Sie sitzen nämlich genau in der Schusslinie.«
Kiki erhebt sich, streicht ihren Rock glatt und zupft ihr Oberteil zurecht. Perfektion bis ins letzte Detail.
Vier laute krachende Geräusche erschüttern den Raum. Als mein Gehirn sie als Schüsse identifiziert, sind sie längst verebbt. Mein Blick fällt auf vier Löcher in der Leinwand, alle dicht beisammen, grob geschätzt an der Stelle, wo sich Kikis Augen und Mund befinden sollten.
»Und, was sagst du? Wie findest du Daddys Schießkünste, mein Sohn?« Der Junge starrt Philly mit offenem Mund an. »Gut gebündelt, was? Los, sag’s schon. Ich habe noch nie ein Bild mit einer solchen Bündelung gesehen.«
Er hat recht, das muss man ihm lassen. Doch Arthurs Züge verzerren sich. Das sorglose Geplapper über Sigs und Glocks ist eine Sache, doch mitzuerleben, wie ein erwachsener Mann eine Salve abgibt, diese schockierende Demonstration des tödlichen Potenzials, hat ihn völlig aus der Bahn geworfen. Er beginnt zu schluchzen. Und da ich diejenige bin, die am nächsten neben ihm steht, lege ich instinktiv – ein Instinkt, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn überhaupt besitze – die Hände auf seine bebenden Schultern und versuche ihn zu beruhigen.
»Ist ja gut, Arthur. Es ist ja vorbei, Schatz.«
Der Junge braucht einen Moment, um sich zu sammeln, dann entwindet er sich mir und läuft zu seiner Mutter, die Philly mit einem vernichtenden Blick straft. Falls Philly sein Auftritt peinlich ist, lässt er es sich zumindest nicht anmerken.
»Sie können es als Souvenir behalten«, sagt er zu Kiki.
Ihre Finger wandern automatisch zu ihrem üppigen Dekolleté.
»Portrait von Kiki Wasweißich. Öl auf Leinwand mit vier 45er-Einschusslöchern.«
»Ich werde es in Ehren halten«, krächzt Kiki.
6
Als Mr Skinner zurückkommt, wendet Philly sich an Amber. »Los, sag deinen Freundinnen Auf Wiedersehen, Herzblatt.«
»Ich werde dich nie vergessen, Angela«, flüstert sie und sieht mir tief in die Augen.
»Mom? Müssen wir mit den Männern mitgehen?«
»Und ich werde dich nie vergessen, Amber«, sage ich, ehe ich im Flüsterton hinzufüge: »Ich hole dich da raus. Bitte glaub mir.«
»Lass es, Angela. Gegen ihn kommst du nicht an. Er ist zu stark. Das weiß ich jetzt.«
»Für so was gibt es einen Begriff, falsch, zwei. Totaler Schwachsinn .«
Sie lächelt. »Es war unglaublich, dich kennenzulernen. Man sieht sich ja immer zweimal im Leben,
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