Verlorene Eier
kennengelernt habe. Ihren Porzellanteint und ihre Aura der Tragödie habe ich ja bereits erwähnt, daher können wir uns dieses Gefasel über Liebe und Romantik und all das sparen und gleich zu dem Teil kommen, von dem an es abwärtsging – einen Monat vor dem Aufeinandertreffen zwischen der Wand und meiner Faust, als Claire mir endlich eröffnete, dass sie nicht die Absicht hatte, Teil unseres »großen Abenteuers«, aufs Land zu ziehen, zu sein – oder unseren »Traum zu leben«, wie es einer oder zwei unserer etwas nervigen Freunde ausgedrückt hatte.
Unsere Ehe hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahr lang vor sich hin gedümpelt, und ich hatte den grandiosen Plan ersonnen, ihr inmitten der herrlichen Hügellandschaft, den Wäldern und den Flüssen des ländlichen Shropshire neues Leben einzuhauchen. Dort – sprich, hier –, in einer Atmosphäre vollkommenen Einklangs mit der Natur, könnte sie lange, tiefe Wurzeln schlagen, herrliche Blüten treiben und, fernab vom Stress, den Belastungen (und schmierigen Mistkerlen) des Großstadtlebens, prächtig wachsen und gedeihen. Ich musste einiges an Überredungskunst anwenden, aber am Ende ließ Claire sich breitschlagen. Wir fanden einen Käufer für die Wohnung in Crouch End, ich blätterte einen Vorschuss auf diese reizende alte Ruine auf dem Lande auf den Tisch – genau jene Bruchbude, durch deren löchriges Dach die Regentropfen auf die Tastatur meines Laptops fallen, während ich dies schreibe –, dann kündigte ich meinen Job (zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich in der PR -Branche und hasste meinen Job mit jedem Tag mehr) und fand eine neue Stelle als Reporter des hiesigen Käseblatts.
Alles war vorbereitet. Claire zog zu ihrer Mutter nach Guildford, während ich hier ein paar Renovierungsarbeiten am Haus erledigen ließ: fließend Wasser, Strom und derartige Kleinigkeiten.
Und dann ließ sie die Bombe platzen.
Sie könne das nicht. Sie glaube, sie sei nicht fürs Landleben geschaffen. Sie könne sich nicht vorstellen, was sie dort draußen den ganzen Tag tun solle. Auf meinen Einwand, das hätten wir doch alles besprochen – sie würde als freie Übersetzerin arbeiten, von einem Arbeitszimmer mit Blick über die Hügel jenseits des Torfmoors aus –, erwiderte sie nur: »Ich habe aber Angst, dass ich auf lange Sicht den Verstand verlieren werde.« (Durchaus möglich.) Die Verhandlungen zogen sich am Telefon über Wochen hin. Ein endloses Hin und Her ein und desselben Arguments.
»Aber wir waren uns doch einig, es zu versuchen.«
»Das weiß ich ja, Bill.«
»Nur für ein Jahr.«
»Aber es macht mir Angst.«
»Wieso?«
»All die kahlen Felder.«
»Großer Gott, jetzt kommen wieder die Felder. Claire, genau das war schließlich unser Plan. Dieses Haus, dieses Leben. Du kannst es dir doch nicht auf einmal anders überlegt haben.«
»Doch, ich glaube, genau das habe ich getan, Bill.«
»Wie bitte?«
»Ich sage nur, dass ich es nicht kann, glaube ich.«
»Du kannst was nicht? Auf dem Land leben oder mit mir leben ?«
Die nachfolgende Stille hätte mir alles sagen müssen, was ich zu wissen brauchte – doch ich ertrug es nicht, es mir anzuhören.
Am Ende überredete ich sie mittels emotionaler Erpressung, wenigstens eine Woche lang herzukommen. Das sei sie mir – uns! haha! – schuldig.
Sie hielt sechs Tage durch. Wahrscheinlich waren es die schlimmsten sechs Tage meines Lebens, und ich spreche hier als Mann, der eine PR -Kampagne für eine neue Methode zur Stuhluntersuchung ersonnen und auf die Beine gestellt hat. Sechs Tage wanderte sie durchs Haus wie ein ruheloser Geist. Sie blies vierundzwanzig Stunden am Tag Trübsal. Wenn ich sie für eine Weile allein ließ, fand ich sie bei meiner Rückkehr am Fenster stehend, wo sie auf irgendein namenloses Grauen hinausstarrte. Bei Tisch herrschte eisige Stille. Der Kamin machte ihr Angst. Jedes Knistern eines Scheits ließ sie zusammenfahren. Muss ich noch extra erwähnen, dass unser Ausflug ins Wobbly auch kein durchschlagender Erfolg war? Ich hatte sie niemals unglücklicher, tragischer, unerreichbarer gesehen als in diesen sechs Tagen. Logischerweise haben wir kein einziges Mal …
Ausgeschlossen …
Nicht mal daran zu denken …
Ach, egal.
11
Und dann verlor ich meinen Job.
Nur wenige Wochen, nachdem mich das Lokalblatt angeheuert hatte, verkündeten sie Kosteneinsparungen auf der ganzen Linie und stellten mir nach dem Prinzip »Wer als Letzter kommt, muss als Erster
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