Verlorene Eier
eben …
Ja? Du dachtest …
(Tiefer Seufzer.) Ich dachte, ich sehe sie nie wieder.
Dich hat es übel erwischt, was?
In dem Augenblick, als ich sie das erste Mal gesehen habe.
Dann musst du sie retten, Bill. Wie diese dicke Waliserin gesagt hat – nun ja, sie würde es vielleicht nicht so ausdrücken, aber du musst den Drachen töten.
Nur leider ist der Drache genauso wie sein hässlicher kleiner Helfer bis an die Zähne bewaffnet, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte.
Du musst der romantische Held sein. Mutig sein. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, heißt es doch immer so schön.
Aber ich bin nicht mutig.
Du unterschätzt dich. Immerhin sitzt du als Frau verkleidet im Haus des Herrn.
Das hat doch mit Mut nichts zu tun. Sondern mit … ach, ich weiß auch nicht.
Du bist immerhin erfolgreicher Autor von Liebesromanen.
Auch das hat mit Mut nichts zu tun, sondern war reiner Zufall.
Wir werden tapfer, indem wir tapfer handeln, sagte schon Aristoteles.
Du hast leicht reden. Du bist schließlich nicht real.
Ach ja?
Was ich damit sagen will, ist: Wir haben dich erfunden. Genauso wie ich Captain Jack Dashwood erfunden habe.
Und was würde der jetzt tun? Wenn er hier wäre?
Wahrscheinlich sein Schwert zücken und sie kaltmachen.
Nein, das würde er nicht. Nur wenn er eine realistische Chance hätte, sie beide zu erwischen. Der Mann ist tapfer, aber nicht verrückt.
Okay. Aber was war mit diesem Piratenschiff vor Trinidad, das er angegriffen hat, weil er dachte, Carla Maltravers sei an Bord, von den Piraten entführt und an den Mast gefesselt?
Und danach hat sie ihm wegen des ganzen Schlamassels eine Ohrfeige verpasst!
Aber später, als sie …
Was?
Angela!
Du hast damit angefangen, oder etwa nicht?
Oh Gott.
Ja. Bill. Ja, Bill!
Aber so etwas gibt es doch im wahren Leben nicht, oder?
Wieso nicht?
Es ist nur eine Geschichte.
Alles ist nur eine Geschichte. Wenn du deinen Enkeln einmal von diesem Abend erzählst, wird es auch nur eine Geschichte sein, allerdings eine ziemlich wilde.
Aber was ist, wenn es nicht funktioniert?
Geschichte wird von den Siegern geschrieben, sagte Churchill.
Aber was ist, wenn …
Zu spät. Ich glaube, der Pfarrer kommt gleich zu dem Punkt, wo es ernst wird. Ich halte dir die Daumen …
Ich klappe die Puderdose zu.
»Phillip und Lesley sind hierhergekommen, um den Bund fürs Leben zu schließen«, sagt der Pfarrer gerade. »Sie werden einander nun das Jawort geben und sich ewige Liebe und Treue schwören. Als Pfand ihrer Liebe werden sie die Ringe tauschen.« Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich weiß genau, was gleich kommt. Genau dasselbe hat der Kirchenmann auch in meinem ersten Buch gesagt, als Harrison Montdoubleau Carla in die Kirche gezerrt und sie gezwungen hat, das Ehegelübde abzulegen.
»Doch zuvor muss ich die Frage stellen. Wenn es jemanden gibt, der einen Grund kennt, weshalb diese Ehe nicht rechtsgültig geschlossen werden soll, dann möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen.«
»Ja. Ja. Ich kenne einen Grund.«
Philly und Amber haben sich umgedreht, um zu sehen, von wem der Einwand kam.
»Ja, tut mir leid, wenn ich unterbreche, lieber Herr Pfarrer, aber ich kenne einen Grund. Ehrlich gesagt sogar mehrere.«
Mittlerweile bin ich aufgestanden. Philly fixiert mich mit tödlichem Blick, während Amber völlig verdattert dreinsieht.
»Tut mir leid, wenn ich das sage, aber diese Zeremonie ist die reinste Farce, genauso wie die sogenannte Beziehung zwischen dem Brautpaar. Welche Gefühle Miss Glatt auch immer für Sie gehegt haben mag, Philly, sie existieren längst nicht mehr. Sie sollten sie nicht heiraten. Sie sollten noch nicht einmal in England sein. Stattdessen sollten Sie eigentlich im Gefängnis sitzen. Sie sind ihrer nicht würdig.«
Aus der rechten Ecke, neben dem Altar, dringt ein vernehmliches Klicken.
»Moment, lass diese verrückte alte Frau sagen, was sie zu sagen hat.«
»Sie sind ein Verbrecher. Sie und Ihr ›Partner‹, wie Sie ihn bezeichnen, sind mittels Waffengewalt in eine Kirche eingedrungen. Sie sollten sich schämen. Der Hochzeitstag sollte der schönste Tag im Leben einer Frau sein. Und nicht diese … fürchterliche Karikatur davon.«
Meine Stimme wird mit jedem Wort tiefer. Das Szenario vor meinen Augen ist exakt dasselbe wie in meinem Buch: Das Brautpaar steht wie angewurzelt da, während mich der Pfarrer mit offenem Mund anstarrt.
»Was für ein unglaublicher Egoismus«, zitierte ich
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