Verlorene Eier
annähernd wie eine Autorin für Liebesromane (mit Pferden, Hunden und Bienenzucht) aussieht?
Nach der Rasur kehre ich zu Keith zurück, der in der Diele steht und gerade eine Aluminiumschale mit hübschen Zierkieseln von einer Konsole nimmt, die vor einem dieser bunten Kelims hängt, mit denen sich manche Leute gern die Wände vollpflastern. Er hebt einen Zipfel des orientalischen Teppichs an, hinter dem eine Geheimtür zum Vorschein kommt.
»Ich präsentiere – die Kammer der Geheimnisse!«
Er fördert einen Schlüssel von beeindruckender Größe zutage. Ein elektronisches Knacken ertönt, gefolgt vom metallischen Klacken, als sich mehrere Schlösser öffnen. Dann folge ich ihm in die völlige Dunkelheit.
Was ist das für ein Geruch hier? Plötzlich wird mir bewusst, dass kein Mensch weiß, wo ich bin. Ist dies der Moment, wenn Keith (der ein Nachtsichtgerät trägt) mir eine Injektionsnadel in den Hals rammt und ich gefesselt auf einem Zahnarztstuhl wieder zu mir komme, während Keith (inzwischen mit entblößtem Oberkörper und voller Kriegsbemalung) mit einem Elektroschocker vor meiner Nase herumfuchtelt? Die Dunkelheit scheint schon viel zu lange anzudauern. Habe ich ihm während der Schulzeit irgendetwas angetan, wofür er jetzt grausame Rache üben könnte? Geht es um die ewigen Frotzeleien wegen des Frosches? Hat er vielleicht gar ein Bassin voller blauer Giftfrösche für mich vorbereitet? Oder waren es die orangefarbenen? War das ein Krächzen? Und was ist das für ein Geruch, verdammt noch mal? Was treibt dieser Kerl so lange?
»Tut mir leid, aber ich finde den Lichtschalter nicht. Ah, hier ist er ja.«
Es ist keine Folterkammer, sondern eher so etwas wie eine Theatergarderobe mit einem dieser von Glühbirnen umrahmten Riesenspiegel, massenhaft Schminkzeug, diversen Perücken auf Styroporköpfen, Kleidern in Plastikhüllen und endlosen Reihen von Schuhen und Stiefeln mit astronomischen Absätzen.
»Du bist der einzige Mensch außer mir, der von diesem Raum weiß«, erklärt Keith feierlich. »Du, der Erbauer dieses Hauses – der allerdings später bei einem ominösen Bootsunfall ums Leben gekommen ist.«
Ich bin zu sechzig Prozent sicher, dass das ein Scherz ist.
Er führt mich zu dem Stuhl vor dem Spiegel und breitet einen Umhang um mich, ehe er hinter mich tritt und mir die Hände auf die Schultern legt.
»Dann wollen wir mal«, sagt er. (Einen Augenblick lang erscheint das grausige Bild von Hannibal Lecter vor meinem geistigen Auge, bevor er diesen netten italienischen Polizisten ausweidet.) »Sehen wir mal, wer unsere reizende Angela ist.«
»Es ist fast wie beim Friseur«, sage ich nervös.
»Wir fangen mit einem Tupfer Concealer an, um die offensichtlichen Unebenheiten auszugleichen.«
Keith beginnt, zuerst mit einem Schwämmchen und dann – oh mein Gott – mit den Fingerspitzen, eine bräunliche Paste auf meinem Gesicht zu verteilen. Er betupft damit meine Tränensäcke und das kleine, längliche Geburtsmal auf meiner linken Wange. Währenddessen summt er leise vor sich hin. Seine Bewegungen haben etwas beängstigend Routiniertes: Wüsste man nicht, dass er als Regierungsbeamter arbeitet, könnte man schwören, dass er seinen Lebensunterhalt als Visagist verdient.
»Als Nächstes kommt die Grundierung. Sie muss immer einen Ton dunkler sein als der Concealer. Ich würde gern die Pfirsichnuance nehmen, aber von der Farbtiefe her bist du eher Noisette.« Er gibt noch mehr braunes Zeug auf mein Gesicht, das er sorgsam über Stirn, Wangen und Hals verteilt.
»Wir haben Glück, dass du keinen starken Bartschatten hast. Ich kenne eine Transe, die ihn mit einer Schicht Lippenstift abdecken muss, bevor sie die Grundierung auftragen kann.«
Keith findet die Anekdote offenbar rasend komisch, während mein Unbehagen mit jeder Sekunde wächst. Das Tempo und die Effizienz, mit der sich seine Finger bewegen, haben etwas zutiefst Verstörendes – ein unübersehbarer Beweis für die vielen Male in all den Jahren, die er vor diesem Spiegel gesessen hat. Keith summt noch immer. Ich glaube »I Feel Pretty« aus West Side Story wiederzuerkennen, während ich mir den kleinen sonderbaren Jungen aus der Schulzeit ins Gedächtnis zu rufen versuche – zurückhaltende Ernsthaftigkeit, solide Schulnoten, hervorragende Leistungen beim Kricket, die sich jedoch leider nicht in einer Steigerung seiner Beliebtheit niedergeschlagen haben. Und natürlich ist da der legendäre Vorfall im Biologielabor, als
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