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Verlorene Eier

Verlorene Eier

Titel: Verlorene Eier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Scarlett
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er nach der Anweisung des Lehrers, wo genau der erste Schnitt zu setzen war, wie ein Sack Kartoffeln aus den Latschen kippte. Ansonsten ist da rein gar nichts. Keinerlei Erinnerungen. Und genau das scheint sein Markenzeichen zu sein – dieser Mann hinterlässt keine Spuren.
    Mittlerweile bestäubt er mein Gesicht mit Max Factor Crème Puff Powder (Nummer fünf – Translucent), gefolgt von etwas, was er als Bronzepuder bezeichnet.
    »Damit muss man sehr vorsichtig umgehen«, informiert er mich. »Wir geben nur einen Hauch davon auf die T-Zone, um einen kleinen Schatten zu zaubern. Hier über der Stirn … dann über die Nase … und schließlich auf dem Kinn. So.«
    Er tritt einen Schritt zurück, um sein Werk zu begutachten. Ich blicke in ein karamellbraunes, verwirrt dreinblickendes Gesicht, das ein wenig aussieht, als hätte es sich mit Erde eingeschmiert. Ich scheine mich fast in einer Blase zu befinden, jenseits von Raum und Zeit. Ich habe keine Ahnung, wie es dazu kommen konnte, aber ich sitze mit einem hohen Regierungsbeamten in einem Geheimraum einer Wohnung in Marylebone, der mein Gesicht mit brauner Pampe vollschmiert. Was habe ich mir dabei gedacht? Das ist doch völlig absurd. Es ist eine Farce. Und wird nie im Leben funktionieren. Was tue ich hier eigentlich?
    »Das sieht ganz gut aus«, meint Keith in diesem Moment.
    »Ehrlich?«
    »Oh, deine Augen könnten ein bisschen größer sein und deine Nase … sagen wir, nicht ganz so fleischig, aber ich will mich nicht beschweren.«
    »Das freut mich zu hören.«
    »Bevor wir uns an die Augen machen, müssen wir uns überlegen, welche Haarfarbe du tragen willst. Blond oder brünett, was meinst du?«
    Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich je mit einer derartigen Frage auseinandersetzen müsste. »Keine Ahnung. Du bist der Experte.«
    »Hm.« Er betrachtet den Karamellmann im Spiegel. »Blonde haben ja bekanntermaßen mehr Spaß im Leben …«
    »Keith, nach mir brauchen sich keine Männer umzudrehen, sondern ich muss nur wie eine nette, unscheinbare Frau mittleren Alters aussehen. Eine, an der man auf der Straße vorbeigeht und die man sofort wieder vergisst.«
    »Für den Augenblick nehmen wir erst mal kastanienbraun und sehen dann, ob wir dabei bleiben.«
    Er setzt zu einem Kurzvortrag über die Schminktechniken der Augen an und erläutert, dass er die 3-Farben-Methode bevorzugt – der dunkelste Ton für das bewegliche Lid über dem Wimpernkranz, der mittlere Farbton für die Lidfalte und der hellste, der unterhalb des Brauenbogens aufgetragen wird. Ich schließe die Augen, während er sich ans Werk macht, und spüre seinen Atem auf meinem Gesicht. Wer waren seine Freunde auf der Schule? Hatte er überhaupt welche? Norman Pedrick kommt mir in den Sinn.
    »Hast du eigentlich mal wieder was von Pedrick gehört?«, frage ich.
    »Ich habe mit keinem von ihnen Kontakt. Nicht so ganz meine Welt, ehrlich gesagt. Und jetzt bitte mal nach oben sehen.« Er trägt den Eyeliner auf – Rimmel Exaggerate, wie er mir erklärt. Eine dünne schwarze Linie am unteren und dann am oberen Wimpernrand. Als Nächstes kommt die Wimperntusche, Clinique High Impact, die in zwei Schichten aufgetragen wird. »Schließlich willst du doch keine Fliegenbeine.«
    »Das ist ja ein Wahnsinnsaufwand, Keith. Nicht zu fassen, dass echte Frauen sich das tagtäglich antun.«
    »Echte Frauen sind manchmal ziemlich nachlässig, was das Make-up angeht. Aber das wirst du noch früh genug feststellen.«
    »Ich schätze, ich will damit nur sagen, ob all das … unbedingt nötig ist.«
    »Das Zauberwort ist Selbstvertrauen, Bill. Ein Mädchen muss ein anständiges Gesicht haben, mit dem es vor den Rest der Welt treten kann.«
    Das klingt nach einer Lebensweisheit, die auch aus dem Mund meiner Exschwiegermutter stammen könnte.
    Als Nächstes kommt das Rouge, ein zarter Puderhauch auf den Schläfen und den Wangenknochen. »Aber nicht auf der apfelförmigen Rundung«, warnt Keith, »sonst siehst du aus wie Dornröschen nach dem Jahrhundertschlaf.« Wieder nimmt er sein Werk in Augenschein. »Und das wollen wir doch nicht, oder?«
    »Nein, Keith«, presse ich mühsam hervor und stelle erstaunt fest, dass ich drauf und dran bin, in Tränen auszubrechen.
    Keith macht sich an meinen Mund: Lipliner, um die Konturen nachzuzeichnen und zu verhindern, dass der Lippenstift »ausblutet« – wobei es sehr wichtig ist, den Amorbogen richtig nachzustricheln –, dann kommt der eigentliche Lippenstift:

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