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Verlorene Eier

Verlorene Eier

Titel: Verlorene Eier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Scarlett
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wenig unters Volk zu mischen. Und wie er prophezeit hat, zucken die Leute bei meinem Anblick mit keiner Wimper, obwohl ich zugegebenermaßen den einen oder anderen eingehenden Blick kassiere – vorwiegend von Frauen. Mittlerweile habe ich gelernt, mit einem strahlenden Lächeln darauf zu reagieren, von dem ich allerdings glaube, dass es latente Ähnlichkeit mit Jack Lemmons Performance in Manche mögen’s heiß besitzt. Mein Gang ist sicherer geworden, das Auftragen des Make-ups geht immer zügiger vonstatten, und diese typische weibliche Verbindlichkeit, um anderen Menschen ein Gefühl der Nähe zu suggerieren, geht mir allmählich in Fleisch und Blut über.
    Keith ist nicht mehr ständig zu Hause, weil ihnen offenbar irgendeine Intrige »um die Ohren geflogen« ist und er im Ministerium gebraucht wird, um sich eine »massive Operation zu überlegen, bei der sich alle warm anziehen dürfen«. Er scheint vollauf zufrieden mit der Entwicklung der Dinge zu sein. Sollte er je Grund gehabt haben, mir dankbar zu sein – dafür, dass ich ihn nicht den Klatschblättern zum Fraß vorgeworfen habe (als würde ich so etwas je tun, von können ganz zu schweigen) –, stehe ich mittlerweile erst recht bis zum Hals in seiner Schuld.
    Aber ich will Ihnen ein paar Sternstunden bei meiner Entwicklung zur Frau nicht vorenthalten:
    Ich sitze im Regent’s Park auf einer Bank in der Nähe der Moschee, also ganz, ganz weit weg von der Stelle, wo Colonel Mustard mich aufgegabelt hat, und lese ein Taschenbuch, als sich eine junge Schwarze in einem Minirock mit atemberaubend langen Beinen neben mir niederlässt. Sie zündet sich eine Zigarette an, stößt den Rauch über meinen Kopf hinweg aus und mustert mich.
    Eine unbehagliche Stille hängt zwischen uns.
    »Ich habe Sie hier schon häufiger gesehen, oder täusche ich mich?« Ihre Stimme ist verblüffend tief für ein Geschöpf mit so wohlgeformten Beinen.
    »Ach ja? Nicht dass ich mich erinnern könnte, Herzchen.« Ich habe keine Ahnung, woher dieses »Herzchen« auf einmal kam.
    »Der Esel schimpft den anderen Langohr. Schon mal gehört?«
    Ich zaubere ein säuerliches Lächeln auf meine Züge. Offenbar sitzt eine Transen-Kollegin neben mir. Wenn auch eine besonders attraktive Vertreterin ihrer Gattung. Die Kieferlinie mag ein wenig sehr markant sein, stelle ich bei näherem Hinsehen fest, und auch die Augen haben etwas eindeutig Männliches an sich, aber ansonsten …
    »Die Stiefel sind super«, bemerkt er.
    »Danke.« Mittlerweile haben wir jeden Anflug von subtil-weiblicher Gesprächsführung über Bord gekippt.
    »Woher haben Sie die?«
    »Sie gehören einem Freund.«
    »Oh. Und was macht Ihr Freund so?«
    »Er ist Beamter.«
    »Ich auch.«
    »Was für ein Zufall. Welche Richtung?«
    »Postbote.«
    »Wer hätte das gedacht?«
    »Und Sie? In welcher Branche arbeiten Sie?«
    »Ich bin Autor.«
    »Was schreiben Sie denn?«
    »Texte für Kataloge. Broschüren. Obervolta: Fortschritt durch Partnerschaft. Die war von mir.«
    »Ich hasse diese Scheißbroschüren. Wegen den Dingern ist die Einkaufstasche jedes Mal tierisch schwer.«
    »Ich werde versuchen, mich künftig kürzer zu fassen.«
    Meine neue Bekanntschaft grinst. Doch er/sie scheint genug gehört zu haben, denn er/sie nimmt seine/ihre Sachen und steht auf.
    »Nur aus Neugier – was hat mich verraten?«, frage ich.
    »Gar nichts. Absolut gar nichts. Reiner Transen-Radar.«
    »Können Sie mir vielleicht ein paar Tipps geben? Ich bin noch nicht lange dabei.«
    Er/sie denkt einen Moment lang nach. »Nö. Sie machen das echt super. Ich bin übrigens Nigel. Oder Wendy. Egal.«
    Wir schütteln uns die Hände. »Bill. Angela.«
    »Immer cool bleiben, Bruder … äh, Schwester.«
    Mit einem Mal empfinde ich ein tiefes Gefühl der Zugehörigkeit zu einer alten Tradition.
    11
    Waitrose-Supermarkt, Marylebone High Street.
    Eine alte Dame mit grauem Haar und gebieterischer Aura – das weibliche Äquivalent von Colonel Mustard – bittet mich, ihr eine Schachtel Carr’s Water Biscuits aus dem Regal zu reichen.
    »Diese Dummköpfe haben sie ganz nach oben gestellt.«
    »Ärgerlich, nicht?«, erwidere ich und freue mich über die Gelegenheit, ein wenig Konversation zu betreiben. »Bitte sehr. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
    Sie hat Augen wie ein Luchs, die mich förmlich durchbohren, ehe sie zu einem Entschluss zu gelangen scheint. Sie wirft einen kurzen Blick über die Schulter, worauf ein Mann in einem schwarzen

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