Verlorene Eier
meinem Tagesablauf gefunden und freue mich darauf, jeden Abend durch den »Transen-Eingang« das Haus zu betreten und mit Keith zu Abend zu essen, als wären wir ein altes Ehepaar. Einmal habe ich sogar »Schatz, ich bin zu Hause!« gerufen. Was allerdings keine allzu große Begeisterung seinerseits auslöste.
Oft bleibe ich in meiner Verkleidung, um das Essen und Trinken als Frau zu üben (was sich vorwiegend darauf beschränkt, nicht die Ellbogen auf dem Tisch aufzustützen und sich nicht den Mund mit dem Handrücken abzuwischen). Eines Abends komme ich nach Hause und sehe, dass Keith eine Flasche Champagner auf den Tisch gestellt und eine Kerze angezündet hat. Er hält einen kurzen Vortrag über Angelas eindrucksvolle Fortschritte und meint, er wolle einen Toast ausbringen. Ich bin gerührt und erwidere, dass sich wohl keine Schnulzenautorin einen besseren Lehrer hätte wünschen können. Einen Moment lang herrscht verlegene Stille. Meinem Gefühl nach wäre dies ein passender Moment für eine kumpelhafte Umarmung, doch ehemalige Schüler von King Willie’s tun so etwas natürlich nicht. Stattdessen schütteln wir uns die Hände, dann ein knappes »Danke, Mann«, quittiert von einem nicht minder kargen »Null Problemo«, ehe ich mich daranmache, die Geschirrspülmaschine einzuräumen.
Am nächsten Morgen laufe ich meiner Exfrau in die Arme.
Ich drehe meine gewohnte »Angela präsentiert sich der Welt«-Runde durch den Park, als in meinem Magen irgendein Riesenvieh – ein Lachs oder etwas in dieser Größenordnung – zu zappeln beginnt. Claire sitzt auf einer Bank auf dem Hauptweg durch den Park und unterhält sich angeregt mit einem Mann, den ich noch nie vorher gesehen habe. Natürlich weiß ich, dass ich einfach weitergehen sollte – es ist aus, Schluss, vorbei. Endgültig …, außerdem … was ist, wenn sie mich erkennt? Aber ich bringe es nicht über mich. Ich setze mich auf eine Bank gegenüber von ihr und tue so, als vertiefte ich mich in Am Strand . Mir ist auf der Stelle klar, was hier läuft – wieder ein Typ, der ihr auf den Leim gegangen ist. Er ist ein gutes Stück jünger als ich, doch keinen Deut weniger verzaubert, wie mir der Ausdruck unverfälschter Bewunderung auf seinen Zügen verrät. Es ist offensichtlich, dass er ihr in aller Eindringlichkeit und unter großen Mühen etwas zu erklären versucht, aber sie hat ihre Jeanne-d’Arc-Miene aufgesetzt – dieser tragische Blick, der über den brennenden Scheiterhaufen hinweg in die Ferne gerichtet ist. Ich weiß aus Erfahrung, dass es an diesem Punkt längst kein Zurück mehr für Jeanne d’Arc gibt, und verspüre plötzlich den Drang, dem armen Teufel »Lass gut sein, du vergeudest nur deine Zeit, Kumpel!« zuzurufen. Und wenn sie zu mir herübersehen würden, wäre da nichts als eine nette Frau mittleren Alters, die die herrliche Frühlingssonne genießt. Köstlich!
Ich suche Claires Gesicht nach Spuren des Alters und der Verbitterung ab, muss jedoch einräumen, dass sie sich außergewöhnlich gut gehalten hat. Noch immer besitzt sie diesen makellosen Porzellanteint und die exquisite Knochenstruktur, die ihr zweifellos auch bis ins hohe Alter erhalten bleiben wird. Wieder einmal frage ich mich, ob ich anders hätte handeln können. Wäre ich ein anderer Mensch gewesen, vielleicht. Aus irgendeinem Grund war ich bei Claire ständig unter Zugzwang – entweder ich musste alles daransetzen, sie zu besänftigen, oder versuchen, jemand zu sein, der ich nicht war. Ich horche in mich hinein, drücke mit dem Finger auf den unsichtbaren blauen Fleck auf meiner Seele. Ja, ein großer Teil von mir empfindet noch immer den Schmerz über das Scheitern unserer Ehe. Allerdings fällt mir auf, dass sich eine angenehme Taubheit an dieser Stelle eingestellt hat, eine Art Narbengewebe. Ich sehe die Frau an, mit der ich einmal verheiratet war, und frage mich, was um alles in der Welt ich an ihr gefunden habe. Die Erkenntnis, neuerdings scheinbar abgehärtet zu sein, entzückt mich. Habe ich heute, sieben Jahre danach, endlich mit meiner Ehe abgeschlossen? Oder liegt es nur daran, dass ich die Geschichte unserer verlorenen Liebe in zwölf Romanen wieder und wieder durchgekaut und damit das Trauma auf literarischer Ebene verwurstet habe? Und dabei in gewisser Weise aus meinen eigenen Fehlern sogar noch Kapital geschlagen habe?
Oder liegt es nur daran, dass ich einen mit Hühnerfilets gefüllten BH trage?
15
Der letzte Abend bei Keith ist einer der
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