Verlorene Eier
die Darbietung gibt’s leider nicht«, sagt der Taxifahrer. Gerald zahlt. »Danke und schönen Tag noch, Sir«, verabschiedet sich der Taxifahrer. Und als ich mich graziös vom Rücksitz erhebe, wie ich es Tausende von Malen auf Keiths Sofa geübt habe – Knie und Knöchel zusammen und mit einem leichten Hüftschwung –, fügt er hinzu: »Und Ihnen auch, Sir.«
10
Mein amerikanischer Verlag, Frost and Hart, 1902 gegründet und lange Zeit stolzer unabhängiger Kleinverlag, ist nun Teil des Verlagsriesen Yergel Group und residiert auf einer halben Etage in einem Hochhaus am Broadway zwischen der 40. und 50. Straße. Vielleicht ist es ja ein passender Zufall, dass als Folge dieser Liaison – »dieselbe Art von Liaison wie zwischen einem Ertrinkenden und einem Hai«, hieß es damals in Verlagskreisen – einer der ältesten Verlage für romantische Literatur in einem gewaltigen Penis untergebracht ist. Auch wenn Gerald es niemals offen zugeben würde, war für sein Dafürhalten der Tag, an dem die Marketingheinis und die Erbsenzähler den Gentlemen in Samtjackett und Fliege das Zepter aus der Hand nahmen, wohl der traurigste Tag für die wunderbare Welt der Bücher. Vielleicht rührt es von seinem klösterlichen Gebaren (und der merkwürdigen Schwäche ausgerechnet für die Literatur der Deutschen im 19. Jahrhundert) her, allerdings denke ich oft, dass er viel besser ins goldene Zeitalter der Verlegerkunst gepasst hätte. Damals, als die gebildeten Herren der Worte bei ausgiebigen Mittagessen in hübschen Restaurants zusammen aßen, mit dem Resultat, dass etwa ein Jahr später ein wunderschöner Band (vielleicht) auf dem Markt erschien, den die Rezensenten (möglicherweise) in den höchsten Tönen lobten und die Leute haufenweise kauften (oder auch nicht). Aber natürlich hat ihn nichts von alldem daran gehindert, sich mit dem Verhökern von »wunderschönen, gut erzählten Geschichten«, wie er es bezeichnet, eine goldene Nase zu verdienen.
Auf dem Weg in den zwölften Stock überprüfe ich mein Spiegelbild ein letztes Mal. Kann diese lächerliche alte Schachtel ernsthaft jemanden hinters Licht führen? Wieder drohen mir die Tränen des Selbstzweifels in die Augen zu treten. Ich sehe die Leiterin der Bibliothek in Northamptonshire. Oder ein Mitglied der Obersten Schulbehörde. Du siehst dich selbst völlig anders als der Rest der Welt. Es ist genau wie bei einem Banküberfall: Sobald du wegrennst, bist du verdächtig. Keiths Worte hallen in meinem Gedächtnis wider. Ich bemerke, dass Gerald neben mir nach ein paar ermutigenden Worten ringt. Ich streiche meinen Rock glatt, rücke mein Armband zurecht. Ich versuche, mein Spiegelbild anzulächeln, um zu sehen, ob ich es noch kann, doch es sieht aus, als litte ich unter einem verklemmten Furz. Der Aufzug gibt ein leises Ping von sich, und die Türen gleiten auf. Showtime.
»Geraldo!«
Eine hochgewachsene, schlampig wirkende Frau rauscht in den Empfangsbereich und drückt – wenn auch nicht ganz ohne Mühe – Gerald an sich. Das muss Nora Downes sein, das letzte Relikt von Frost and Hart und beinahe so etwas wie eine Verlegerlegende. Sie ist ein exotisch aussehendes Geschöpf in meinem Alter mit einem Helm weißer Haare, einem merkwürdigen schalartigen Gebilde um den Hals und mehreren ausgesucht hässlich-hypermodernen Schmuckstücken behängt. Ihr Make-up sieht aus, als hätte sie es mit dem Feuerwehrschlauch aufgetragen. (Keith wäre schockiert.) In der einen (mit Ringen überladenen) Hand hält sie eine Dose Diät-Coke, in der anderen eine Schachtel Marlboro light.
»Hi, Herzchen«, sagt sie, als Gerald mich ihr vorstellt, mit einer Stimme, die sich wie eine Mischung aus Honig und Reibeisen anhört. »Willkommen im Heartbreak House.«
Sie ist mir auf Anhieb sympathisch – und nicht nur, weil sie meine Identität scheinbar bedingungslos zu akzeptieren scheint.
»Was kann ich euch bringen lassen, ihr Süßen? Kaffee? Kopfschmerztabletten? Einen Martini?«
»Für mich nichts, herzlichen Dank, Nora.« Meine Angela-Stimme klingt ein klein wenig zittrig, aber halbwegs passabel. Die Aktien unserer Gaunerei steigen augenblicklich um ein paar Punkte.
»Als Erstes bringe ich euch jetzt zu Spav. Wir reden dann später.« Sie schüttelt vielsagend ihre Zigarettenschachtel. »Vorher gehe ich noch kurz auf die Straße, um eine zu qualmen. Was für eine Welt, was?«
Der Mann, den sie als Spav bezeichnet hat, heißt in Wahrheit Howard G. Spavik und ist seines
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