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Verlorene Eier

Verlorene Eier

Titel: Verlorene Eier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Scarlett
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helfen …«
    Während Gerald hinter mich tritt, sehe ich noch einmal in den Frisierspiegel und halte mir zum hundertsten, nein, tausendsten Mal vor Augen, dass ich nicht das sehe, was der Rest der Welt sieht.
    »Fertig.« Er legt mir die Hände auf die Schultern, und wir blicken gemeinsam in den Spiegel.
    »Sag irgendetwas Nettes«, zische ich.
    »Du bist bildhübsch.«
    »Danke.«
    »Wie ein Werk von Hieronymus Bosch.«
    Wir lachen – aber es ist kein hundertprozentig entspanntes Lachen.
    Auf dem Weg zur Lobby mache ich einige von Keiths Artikulationsübungen, die die Zunge lösen und meine Stimme aus der Kehle nach vorn zu den Zähnen bringen soll:
    Hätten Tanten Trommeln statt Trompeten,
    täten Tanten trommeln statt zu tröten.
    Fritzchens Katze Tatze
    kratzt Schlitze in Matratzen.
    »Klingt super, Bill«, lobt Gerald.
    »Blaukraut bleibt Blaukraut, und Brautkleid bleibt Brautkleid …« (Und jetzt Sie!)
    »Ich habe heute meine Glückskrawatte umgebunden, Bill. Wenn ich meine Glückskrawatte trage, passiert nie etwas Schlimmes.«
    Er trägt die gestreifte. Ich habe noch nie eine andere an ihm gesehen.
    »Fischers Fritz fängt frische Fische, frische Fische fängt Fischers Fritz …«
    9
    Jetzt bin ich nervös.
    Als wir im Taxi sitzen und durch die von Schlaglöchern übersäten Straßen Manhattans rumpeln, die üble Dinge mit dem Sitz der Hühnerfilets in meinem BH anstellen, spüre ich, dass mir das Herz aus dem Brustkorb zu springen droht. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf die Straße, auf die endlosen Reihen roter Rücklichter, die eindrucksvollen Wolkenkratzer, die an uns vorüberziehen.
    Gerald hämmert auf seinen Blackberry ein.
    »Ich bin nervös«, informiere ich ihn.
    »Das ist doch völlig normal. Ich werde dir noch irgendetwas Inspirierendes sagen, bevor es richtig losgeht.«
    »Könntest du vielleicht jetzt schon irgendetwas Nettes sagen? Bitte entschuldige mein ständiges Gebettel um Komplimente.«
    Seine Augen hinter der Mönchsbrille glitzern. »Du siehst … sehr nett aus.« (Das »hinreißend« will ihm einfach nicht über die Lippen kommen. Keith hätte es gekonnt.)
    »Sitzt meine …« Ich senke die Stimme. »Sitzt meine Perücke gerade?«
    »Sie sitzt perfekt. Du strahlst regelrecht«, fügt er hinzu. Allmählich kapiert er es. »Von innen heraus.«
    »Ich werde mich zurückhaltend geben«, erkläre ich ihm zum zwanzigsten Mal. »Die schüchterne Lady aus den Midlands, die sich inmitten ihrer Hunde und Pferde wohler fühlt …« In diesem Augenblick poltert der Taxifahrer durch ein Schlagloch. Die Erschütterung lässt meine Wirbelsäule bis zur Schädeldecke erbeben. »… und bei meinen stinkenden Bienen … wenn dieser Taugenichts noch einmal durch ein Schlagloch fährt, dann … ach, keine Ahnung, was ich dann tun werde.«
    »Wir sind gleich da«, besänftigt mich Gerald.
    »Ist das hier das Dämlichste, was du je in deinem Leben getan hast?«
    »Kann sein.«
    »Aber es gehört zu den schlimmsten Dingen, stimmt’s?«
    »Einmal habe ich mein Handy in einen Teller Krabben-Mais-Suppe fallen lassen. Das war schon ziemlich dämlich.«
    »Es ist nämlich definitiv das Dümmste, was ich je in meinem Leben getan habe. Mit Abstand. Ich quassle nur unsinniges Zeug, Gerald.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Was, wenn ich es vermassle?«
    »Das wirst du nicht.«
    »Und was ist, wenn sie bemerken, dass ich mich als Frau verkleidet habe?«
    »Das werden sie nicht.«
    »Aber was, wenn doch?«
    »Wenn doch? Tja, dann sind wir am Arsch, und zwar gehörig.«
    »Das hilft mir nicht, Gerald.«
    »Kennst du den?
    There was an old man from Berlin
    who couldn’t write limericks for shit …«
    Endlich, höchstwahrscheinlich aus blanker Verzweiflung, zieht Gerald die Monty Python’s Flying Circus -Karte und zitiert nicht den Sketch mit dem toten Papagei, sondern den im Käsegeschäft, der noch viel witziger ist. Wie es aussieht, kennt er den Dialog in- und auswendig. Er legt eine höchst eindrucksvolle Imitation aufs Parkett – Michael Palin als ausweichender Ladenbesitzer und John Cleese als durchgeknallter Jäger »käsiger Esswaren« –, und als er zur letzten Zeile kommt – »was für eine sinnlose Verschwendung menschlichen Lebens« –, bin ich von seinem Gedächtnis und seinem komischen Talent gleichermaßen beeindruckt. Ich applaudiere begeistert, wobei mein Armband leise klirrt.
    Unser Taxi hält mit quietschenden Reifen am Straßenrand.
    »Das macht neun fünfzig, Sir. Einen Rabatt für

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