Verlorene Eier
nicht merken.« Und ich darf mich unter keinen Umständen zum Vollidioten machen.
Gerald holt tief Luft. Als die Yergel Group (einer der Riesen in der Verlagsbranche) kürzlich Frost and Hart (einen netten kleinen, auf romantische Literatur spezialisierten Verlag) aufkaufte, hatten sie in Wahrheit Daphne Ottershaw gekauft, die britische Veteranin der historischen Liebesschmonzetten. Yergel, die auf Krimis, Thriller, Science-Fiction und Fantasy abonniert waren, fehlte es an Frauenunterhaltung, daher stellte Frost and Hart die perfekte Gelegenheit dar, in allen Genres auf dem Markt vertreten zu sein. Allerdings war ihnen nicht bewusst, dass Daphne, das vermeintlich beste Pferd im Stall von Frost and Hart, ihre besten Tage längst hinter sich hatte und dass ihre jüngsten Romane von diversen »literarischen Assistenten« aus zunehmend wirren krakeligen handschriftlichen Manuskriptfragmenten zusammengeschustert worden waren. Im Zuge einiger struktureller Veränderungen bei Yergel wurde ein neuer Mann an Bord geholt, der Klarschiff machen sollte. Er nahm die Verkaufszahlen unter die Lupe, rechnete ein wenig hin und her und stellte dabei eine erstaunliche Ähnlichkeit in der Käuferstruktur der Fans von Daphne Ottershaw und Angela Huxtable fest, die ebenfalls bei Frost and Hart unter Vertrag stand. Man einigte sich darauf, dass Angela Huxtable mit ein wenig PR -Aufwand zur nächsten Bestseller-Königin gekrönt werden sollte. Gerald hatte sofort Lunte gerochen und beiläufig einfließen lassen, dass noch andere (natürlich nur in seiner Fantasie existierende) Verlagshäuser Interesse an Angela zeigen würden, und damit den Millionen-Deal unter Dach und Fach gebracht. Und bei alldem war nie jemand auf die Idee gekommen, Angela Huxtable könnte etwas anderes als eine gewöhnliche Frau sein.
»Also, wie gehen wir morgen vor?«, frage ich. (Verdammt leckere Auberginen und Brokkoli, nebenbei bemerkt.)
»Der Deal ist unter Dach und Fach, nur die Unterschriften fehlen noch. Spiel einfach deine Rolle. Zeig ihnen, dass du echt bist, nicht völlig gaga und, äh, kein Mann.«
»Könnten wir ein Codewort vereinbaren? Für den Fall, dass ich Panik bekomme. Wenn ich nicht mehr weiterweiß oder Hilfe brauche oder so, sage ich irgendein Wort, und du springst ein.«
»Was schwebt dir vor?«
»Mir fällt nichts ein.«
»Moby Dick.«
»Was?«
»Tu einfach so, als würdest du daraus zitieren. Kein Mensch hat das Ding je gelesen, deshalb ist es sowieso völlig egal.«
Es ist ein klarer Beweis dafür, wie weich mein Gehirn vom Jetlag ist oder wie sehr meine Kritikfähigkeit in sich zusammengeschmolzen ist, dass nur ein einziges Wort über meine Lippen dringt. »Brillant.«
7
Ich schlafe gar nicht gut. Der Lapsus mit dem leeren Koffer verfolgt mich noch immer; dieses winzige Detail, das unser ganzes Kartenhaus zum Einstürzen bringen könnte. Sosehr ich mich auch anstrenge, komme ich einfach nicht zur Ruhe. Meine Gedanken schweifen zu meinem Vater ( Ich bin ich, und du bist du ), der seit vielen Jahren tot ist. Was würde er zu meiner heimlichen Karriere als Schnulzenautorin sagen, von dem Ausflug in die Welt der Travestie ganz zu schweigen? Gordon Greefe war ein legendärer Auslandskorrespondent und Kolumnist in der goldenen Ära der Fleet Street; zumindest waren dies die Worte eines der Redner bei seiner Beerdigung. Fest steht, dass er ein Zeitungsmann der alten Schule war (er hatte unter anderem für Blätter wie den Daily Standard und den Daily Sketch gearbeitet), gern trank und mit Kollegen in geselliger Runde beisammensaß. Als er allmählich zu alt für die Berichterstattung von den Krisenherden dieser Welt wurde – Sechstagekrieg, der Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei, die Olympischen Spiele in München –, bekam er eine eigene Kolumne namens »Greefe sagt …«, die zweimal wöchentlich erschien und in der er über die zunehmenden Ärgernisse der modernen Gesellschaft (sprich, Gewerkschaften, Hippies, die Umstellung auf das Dezimalsystem beim Pfund) wettern und düstere Prophezeiungen über den Untergang der Werte absondern konnte – allesamt Ansichten, die jene des Eigentümers der Zeitung widerspiegelten (einem Mitglied des Oberhauses mit ererbtem Titel, der sich von Zeit zu Zeit von seiner Jacht in Südfrankreich meldete, um meinen Vater zu einer besonders spitzzüngigen Schmähschrift zu beglückwünschen). Nach fünfzehn Jahren – er ziehe sich jetzt in sein Arbeitszimmer zurück, um eine »neue
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