Verlorene Eier
funkeln. Ich muss mich zwingen, nicht über den Tisch zu springen und sie an mich zu reißen.
»Oh, Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen. Oder sich zu entschuldigen. Allerdings bin ich ziemlich erstaunt …«
»Wieso wir Sie verfolgen wie schlechtes Wetter?«
Ich warte auf irgendeine Erklärung zu den verlängerten Ferien. Stattdessen stößt sie einen tiefen Seufzer aus. Sie wirkte resigniert.
»Wo ist Ihr Kleiner?«, frage ich.
»Eis essen.«
»Und wer …«
»Wer auf ihn aufpasst? Ein Freund.«
»Dieser große Mann, mit dem ich Sie vorhin gesehen habe?«
»Genau der.« Ich höre einen Funken Argwohn aus ihrer Stimme.
»Ich will Sie nicht bespitzeln, meine Liebe. Aber wenn Sie Freund sagen …
»Er ist kein Freund im Sinne von Partner. Ehrlich gesagt ist er überhaupt kein Freund, sondern ein Idiot. Ziemlich unmöglich. Aber das ist eine lange Geschichte.«
»Ich mag lange Geschichten. Immerhin verdiene ich meinen Lebensunterhalt damit.«
Sie lächelt – ein Lächeln, das sich um den Lachs in meinem Bauch herumwindet und geradewegs in meine Boxershorts mit den historischen Pub-Schildern fährt.
»Angela, ich bräuchte schon ein paar Drinks, um Ihnen die ganze kranke Geschichte zu erzählen. Was sagen Sie dazu?«
»Ich bin bekannt dafür, dass ich gern ein Gläschen Sherry trinke, meine Liebe.«
Sie denkt kurz nach, dann scheint sie zu einem Entschluss zu gelangen. »Mögen Sie Blues?«
Ich überlege, ob ich eine komplizierte Geschichte über die Plattensammlung meines Exmannes einfließen lassen soll, doch wie es der Zufall will, bin ich tatsächlich Blues-Liebhaber. »Aber natürlich, meine Liebe.«
»Haben Sie schon mal von einem Künstler namens Lonesome Tiny gehört?«
»Der Name kommt mir nicht bekannt vor …«
»Ein uralter Schwarzer, der bestimmt zweihundert Jahre alt ist. Der Typ ist echt Kult. Und er tritt heute Abend in einer Art geheimem Privatclub auf.«
»Gütiger Himmel.«
»Der Club liegt ein bisschen außerhalb. Aber die Gegend ist nicht gefährlich, soweit ich weiß. Wir könnten hinfahren und uns ein paar Drinks genehmigen. Und Sie würden etwas zu sehen kriegen, was kein Tourist erlebt.«
»Das hört sich sehr gut an. Aber was ist mit dem kleinen Arthur?«
»Er schläft. Jerome kann sich um ihn kümmern. Wie gesagt, Jerome ist ziemlich unmöglich, aber er weiß, dass ich meinen Jungen nie im Stich lassen würde.«
»Ich verstehe nicht ganz, Amber. Dieser Jerome …«
»Na ja, er sorgt gewissermaßen für uns. Aber eigentlich ist er eine echte Nervensäge. Arthur und ich … na ja, einmal sind wir aus dem Fenster geklettert, und es hat drei Tage gebraucht, bis er uns gefunden hat.«
»Ich muss zugeben, ich bin sprachlos.«
»Angela, heute Abend werden Sie alles erfahren. So heißt es doch immer in den Büchern, stimmt’s?«
»In meinen nicht, meine Liebe.«
»Soll ich Sie um acht abholen?«
18
Den Auftritt im Radio und das Zeitungsinterview absolviere ich in einem Zustand inneren Aufruhrs, der sich aber keineswegs unangenehm anfühlt. Die junge Journalistin stürzt sich mit auffallender Verbissenheit auf die Fragen nach meiner Arbeitsmethode. Wie viele Seiten ich pro Tag schreibe, will sie wissen. Ob ich mittels Karteikarten den Plot im Auge behalte. Welche Schriftgröße ich am liebsten am Laptop benutze. Ob die Geschichten wie aus einem Guss aus mir herausgeflossen kommen oder ob es eher wie Zähneziehen ist. Welchen Rat ich einem jungen aufstrebenden Autor auf den Weg geben würde.
Da ich wesentlich besserer Laune bin als beim letzten Mal, als mir diese Frage gestellt wurde, antworte ich: »Manche glauben, Liebesromane zu schreiben sei so einfach, dass es jeder kann. Nach dem Motto: Einmal eine Idee haben, und ab da läuft das Ganze nach Schema F. Aber das ist ein großer Irrtum. Man fängt mit den Figuren an. Man muss ihnen glauben, sich mit ihnen verbunden fühlen und hinter ihnen stehen. Denn der Leser spürt genau, wenn man es nicht tut.« Ich halte kurz inne. »Wieso wollen Sie das wissen, meine Liebe? Planen Sie rein zufällig, ebenfalls einen Roman zu schreiben?«
Sie läuft tiefrot wie eine Tomate an.
Als ich Gerald erzähle, dass ich später noch ausgehen werde, scheint ihn das nicht weiter zu stören.
»Kann sein, dass es spät wird«, erkläre ich.
»Ich werde nicht auf dich warten.«
»Kommst du allein klar?«
Ein Lächeln, das ich nur als dünn bezeichnen kann, erscheint auf seinen Zügen. »Kein Problem. Ich komme schon zurecht.
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