Verlorene Eier
Zieht ihr jungen Leute nur los und amüsiert euch.«
»Ich werde mich ganz professionell verhalten, Gerald«, sage ich, ohne auf seinen Seitenhieb einzugehen. »Ich falle nie aus der Rolle, falls du dir deswegen Sorgen machen solltest.«
»Ich mache mir über gar nichts Sorgen.«
»Gerald, woher wusstest du, dass ich mich mit … ihr treffe?«
»Bill, ich bin dein Agent. Es ist meine Aufgabe, so etwas zu wissen.«
»War es vorhin in der Buchhandlung denn so offensichtlich?«
»Offensichtlich für jeden, der deinen rechten Absatz beobachtet hat. Er ist auf und ab gehüpft wie ein Presslufthammer.«
19
Zur Feier des Tages habe ich mir besondere Mühe mit meinem Make-up gegeben – eine etwas gewagtere Schattierung beim Lidschatten (Maybelline Expertwear Duo) und einen Lippenstift mit einem Hauch Glitzer (Be Yourself Diamond Shine) drin. Außerdem beflügelt mich die Vorstellung unseres gemeinsamen Abends dermaßen, dass ich beschlossen habe, meine fuchsiafarbene Jacke anzuziehen, was ich mich bisher noch nicht getraut habe. Leider passt sie nicht hundertprozentig zu dem hochgeschlossenen Oberteil, aber hey, ich bin schließlich Autorin, keine Fashion-Ikone.
Als ich letzte Hand anlege, meldet sich eine leise Stimme in meinem Kopf zu Wort.
Ein klein bisschen schräg ist das aber schon, meinst du nicht auch?
Was denn?
Du machst dich zurecht, als hättest du ein Rendezvous.
Ein Mann muss eben immer hundert Prozent geben (selbst wenn er wie eine Frau angezogen ist).
Was erwartest du von diesem Abend?
Die Geschichte! Wie hat sie es bezeichnet? Die ganze kranke Geschichte. Offenbar gibt es da etwas, das sie mir bisher noch nicht erzählt hat. Von diesem Idioten Jerome, beispielsweise. Was läuft da?
Sonst noch etwas?
Ein bisschen Blues. Ja. Lonely Tiny Wasweißich. Der Typ ist absoluter Kult. (Zumindest hat sie es so bezeichnet, wenn ich mich recht entsinne.)
Und?
Was und ? Es gibt kein und . Welches und könnte es sonst noch geben?
Gib’s zu, Bill. Du bist verrückt nach ihr.
Angela, altes Haus, diese Geschichte ist die Liebe, die niemals sein darf.
Weil du eine Frau darstellst?
Das wäre ein plausibler Grund, ja.
Welchen plausiblen Grund könnte es noch geben?
Zu jung. Zu durchgeknallt. Der Junge …
Aber du gehst trotzdem mit ihr aus?
So seltsam es sich anhören mag, aber ich genieße es, mich nach langer Zeit wieder einmal wie ein Mann zu fühlen.
Das ist ziemlich witzig, Bill. Sieh mal in den Spiegel.
Sie ist die erste Frau seit langer Zeit, die …
Deine Seele berührt? Seit sehr langer Zeit.
Es ist schön zu wissen, dass ich noch immer wie ein Mann empfinden kann.
Obwohl du in Frauenkleider steigen musstest, um es herauszufinden.
Genau.
Tja, dann einen schönen Abend.
Danke.
20
Um Punkt acht Uhr fährt sie vor dem Hotel vor, steigt aus und kommt um den Wagen herumgelaufen, um mir die Beifahrertür aufzumachen.
»Die Jacke sieht super aus, Angela. Ziemlich …«
»Pink ist wohl das Wort, nach dem Sie suchen, meine Liebe. Vielen Dank. Und Sie sehen so hübsch aus wie immer. Was ist das für ein Duft?«, frage ich, während ich mich in bester Prinzessin-Diana-Manier auf den Beifahrersitz zwänge.
»Cheeseburger. Arthur weigert sich, etwas anderes als Cheeseburger zu essen.«
»Nein. Ihr Parfum, meine Liebe. Rieche ich da einen Hauch Kokosnuss heraus?«
Ihre Antwort geht im Dröhnen des Motors unter. Es ist eine dieser alten Rostlauben einer nicht erkennbaren Marke, die seit einer Ewigkeit nicht mehr in den Genuss einer Innenreinigung gekommen ist. Falls überhaupt jemals. Seltsamerweise hatte ich mir genau so einen Wagen für sie vorgestellt. Wir biegen um die Ecke, und da rollt eine Flut aus Bonbonpapierchen und Limonadendosen an meinen Füßen vorbei, und das ohrenbetäubende Röhren beim Beschleunigen lässt ahnen, dass der nächste Auspuff schneller fällig sein könnte als befürchtet.
»Die Karosserie ist ziemlich im Arsch, aber der Motor läuft einwandfrei. Zumindest hat das der Typ gemeint, als er mir den Wagen verkauft hat.« Anscheinend hat sie meine Gedanken gelesen.
Dies ist meine erste Begegnung mit Ambers Leben außerhalb der Buchhandlungen. Dass es ziemlich chaotisch ist, wundert mich nicht. Überall liegen Beweise herum, dass sie viel Zeit auf der Straße verbracht haben – Sandwichverpackungen, Quittungen von Motelparkplätzen, auf dem Rücksitz sehe ich mehrere Atlanten und Straßenkarten neben Kinderbüchern und Comics. Im CD -Player steckt eine
Weitere Kostenlose Bücher