Verlorene Eier
Hippietasche, um ihre Geldbörse herauszuziehen.
»Okay, okay, nur die Ruhe, Jungs«, meint sie mit einem seltsamen Unterton in der Stimme. »Wir machen ja, was ihr wollt.«
Doch als ihre Hand wieder zum Vorschein kommt, sehe ich keine Geldbörse darin. Sondern eine Waffe. Und sie tut etwas, das dieses metallische Geräusch ertönen lässt, wie man es in Krimis schon Tausende von Malen gehört hat.
»Los, runter auf den Boden, ihr Scheißtypen«, blafft sie. Sie steht breitbeinig da, hat beide Hände um die Waffe gelegt, die Beine leicht gespreizt, und richtet die Waffe auf sie. »Los, runter auf den Scheißboden, habe ich gesagt.«
Ich sehe, dass die beiden Typen sie mit offenem Mund anstarren. Sie tauschen einen unbehaglichen Blick, dann lässt der eine das Messer auf den Bürgersteig fallen. Sie heben die Hände und lassen sich langsam auf den Boden sinken.
»Ganz runter! Und die Hände hinter den Kopf!« Amber geht um sie herum und schiebt mit dem Fuß ihre Beine auseinander. »Und keine Bewegung, sonst knallt’s, verdammt noch mal!«
Sie lässt sich auf ein Knie sinken und zieht mit spitzen Fingern eine Brieftasche aus der Gesäßtasche des Messerschwingers. Ohne den Arm sinken zu lassen, klappt sie sie auf und lässt den Inhalt auf den Bürgersteig fallen, bis sie eine einzelne laminierte Karte in der Hand hält.
Ich bin sprachlos.
»Rodney Watson. Bist du das?« Sie verpasst dem Messerschwinger einen kräftigen Tritt. Er stöhnt. »Und wie heißt dein Freund?«
»Er ist mein Bruder.«
»Wie alt bist du, Rodney?«
»Neunzehn.«
»Wo wohnst du?«
Er nennt ihr eine Adresse.
Sie wirft den Ausweis zu den restlichen Sachen, legt die Hand wieder um die Waffe und macht einen Schritt rückwärts. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich Angst, dass sie die beiden abknallt.
Irgendwo in der Ferne ertönt Sirenengeheul. Ein Hund beginnt zu bellen. Ich schaue Amber an. Amber schaut mich an. Wir atmen beide schwer. Außer uns und den beiden Jungs auf dem Bürgersteig ist weit und breit niemand zu sehen.
Lange Zeit sagt niemand etwas. Schließlich durchbricht eine zittrige Stimme die Stille.
»Was … verdammte Scheiße noch mal war das denn … äh, meine Liebe?«
KAPITEL FÜNF
1
Die Frage hängt zwischen uns in der Luft, und ich frage mich, ob ich die Einzige hier bin, der aufgefallen ist, wie tief meine Stimme auf einmal klingt.
Der Messerschwinger beginnt sich zu bewegen. »Seid ihr Cops, oder was?«, krächzt er.
»Nein, ich bin Scheiß-Schneewittchen«, blafft Amber. »Folgendes, ihr zwei Scheißer – meine Kollegin und ich machen Jagd auf größere Fische, deshalb ist heute euer Glückstag. Ihr geht jetzt nach Hause, und zwar auf der Stelle. Und ihr zieht diese Nummer nicht noch mal ab, denn beim nächsten Mal fackle ich nicht lange. Also, los jetzt.« Sie senkt die Stimme. »Los, Abmarsch. Und zwar pronto. «
Die beiden rappeln sich auf. Ich sehe ihnen an, dass sie alles andere als begeistert darüber sind, von einer Frau hopsgenommen worden zu sein, noch dazu von einer halben Portion wie Amber. Mit finsteren Mienen schlurfen sie davon und überqueren die Straße, ehe sie in halbherzigen Trab verfallen. Amber macht eine Handbewegung, worauf erneut das metallische Klicken ertönt, und lässt die Waffe in ihrer Schultertasche verschwinden.
»Los, steigen Sie ein, Angela.«
Mit zitternden Fingern versucht sie, den Schlüssel ins Zündschloss zu schieben. Sekunden später rasen wir in die entgegengesetzte Richtung davon. Amber greift ins Handschuhfach und zieht eine Schachtel Camel heraus.
»Ich wusste ja gar nicht, dass Sie rauchen.«
»Tue ich auch nicht. Aber … heiliger Strohsack.«
»Ich weiß genau, wie Sie sich fühlen, meine Liebe. Ich bin auch ziemlich erschüttert. Sie hätten nicht zufällig eine für mich …?«
Mit einem verblüfften Blick in meine Richtung hält sie mir das Päckchen hin.
Wie eine Frau zu rauchen gehörte nicht zu meinem Übungsrepertoire bei Keith, daher muss ich improvisieren. Auf den ersten Blick scheint es eine reine Frage des Winkels im Handgelenk zu sein, während ich versuchen muss, möglichst nicht meinen Lippenstift zu verschmieren oder gar meine Perücke in Brand zu setzen.
Amber lenkt den Wagen durch die verwaisten Straßen. Die Minuten verstreichen.
»Ich hätte auch nicht gedacht, dass Sie rauchen«, sagt sie schließlich. Sie wirkt ein klein wenig mürrisch; jedenfalls weit von dem zerbrechlichen, exzentrischen Geschöpf entfernt, das
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