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Verlorene Eier

Verlorene Eier

Titel: Verlorene Eier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Scarlett
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Ich lächle säuerlich, was ihn jedoch nicht daran hindert, mich auch weiter anzustarren. Um ihn auf eine falsche Fährte zu locken, wende ich mich Gerald zu.
    »Wo wollen wir heute zu Abend essen, Liebling?«
    Gerald sieht mich an, als hätte er eine schlechte Auster erwischt. »Hast du Hunger? Ich dachte, wir fahren einfach ins Hotel zurück.«
    Stimmt. Wir haben den Punkt, an dem wir etwas hinunterbekämen, längst überschritten. Doch im Suff beginne ich, aufreizend an Geralds Krawatte herumzuspielen.
    »Ach ja, Schatz?«
    Gerald sieht mich an wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Dann wirft er Griffin und seinen Kumpanen einen Blick zu. »Natürlich könnten wir irgendwo noch einen Happen essen«, sagt er. »Wenn du willst.«
    »Aber was würdest du gern tun, Liebling?« Ohne jede Scham zwirble ich seine Krawatte um den rechten Mittelfinger.
    Allem Anschein nach befinde ich mich in diesem Stadium, in dem man zwar völlig betrunken, aber noch nicht so hinüber ist, dass man nicht mehr mitbekommt, was man tut. Ich beobachte die unterschiedlichen Gefühlsregungen, die sich wie vor dem Mond vorbeiziehende Wolken auf Geralds Miene widerspiegeln.
    »Hast du … alles dabei?«, flüstert er halblaut.
    »Aber natürlich, Liebling.«
    »Das … äh … Öl?«
    » Oui .«
    »Handschuhe?«
    » Naturellement .«
    »Tapetenkleister?«
    » Bien sûr, mon chérie .«
    »Steigeisen?«
    »Klar.«
    »Karotten?«
    »Wie?«
    »Hast du an die Möhren gedacht?«
    »Tut mir leid. Ich dachte, du hättest Schotten gesagt. Aber natürlich habe ich die Karotten dabei.«
    Eine Ausweitung des Dialogs bleibt uns erspart, weil wir in diesem Moment das Erdgeschoss erreichen. Nachdem wir uns von unserem Lachanfall erholt haben, stellen wir beide fest, dass wir noch nie beobachtet haben, wie sich ein Aufzug so schnell leeren kann.
    Arm in Arm wanken wir auf die Straße hinaus.
    15
    Zufälle gibt’s …
    Als ich das letzte Mal in einem Greyhound-Bus saß, hatte ich ein mikroskopisch kleines Viva Zapata! -Bärtchen, schulterlanges Haar und trug ein dünnes Baumwollhemd mit einer Cordsamtjacke und Schlaghosen. Jeder einzelne der zahllosen Tage, die ich brauchte, um bei benzinsparenden fünfundfünfzig Meilen pro Stunde den Kontinent von New York City bis nach San Francisco zu überqueren, war ein unvergessliches Abenteuer. Ich war einundzwanzig Jahre alt.
    Mehr als ein halbes Leben später bin ich wieder hier, diesmal im seriösen Outfit einer Geschäftsfrau mittleren Alters. Links von mir sitzt mein Agent, dem auf der fünfstündigen Fahrt nach Savannah immer wieder ein gequältes Stöhnen entfährt. Ebenso wie ich läuft auch er heute nicht auf allen Zylindern. In einem Punkt sind wir uns einig: Wir waren mindestens zwei Umdrehungen länger als unbedingt nötig in dieser Hochhaus-Bar. Aus diesem Grund arbeitet sich Gerald heute auch nicht wie sonst durch seinen elektronischen Manuskriptstapel, sondern lässt stumpf die Landschaft an seinen glasigen Augen vorbeiziehen. Genau das ist Amerika – Meile um Meile von Bäumen gesäumte Highways.
    »Wo übernachten wir in Savannah, Gerald, mein Lieber?«, frage ich.
    Tiefer Seufzer. »Ich könnte es dir sagen, Bill, aber dafür müsste ich zuerst den Ablaufplan aus meiner Innentasche ziehen. Und wenn ich das täte, würde mir wahrscheinlich der Kopf von den Schultern fallen.«
    Die Busreifen quietschen auf dem Asphalt.
    Amberamberamberamberamberamber …
    16
    Die Begleitperson, die uns am Busbahnhof abholt, ist eine amerikanische Ausgabe von mir: kastenförmige Jacke, knielanger Rock, ergrauendes Haar. An ihrem Revers prangt eines dieser Fischsymbole, das ihre tiefe Verbundenheit mit … Sie wissen schon mit wem … symbolisieren soll. Doch für mich besteht kein Zweifel daran, dass Verity Winton echt ist – wahrscheinlich gibt es nicht allzu viele Transen, bei denen der Herr mit seinem göttlichen Plan Eindruck schinden kann.
    Wie wir feststellen, besitzt Savannah neben den gewohnten Großstadtbauten eine wunderschöne Altstadt mit eleganten, von uraltem Baumbestand gesäumten Plätzen und Promenaden am Fluss, die eine willkommene Abwechslung zur funktionalen Modernität Atlantas darstellt. Wir stellen unser Gepäck im Hotel ab und lassen uns von Verity in ein schattiges Café führen, wo wir im Freien sitzen und unseren Ablaufplan besprechen, während Pferdekutschen mit Touristen vorbeiholpern. In den nächsten vierundzwanzig Stunden stehen eine Lesung, eine Radiosendung und ein

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