Verlorene Illusionen (German Edition)
beschlossen worden, die royalistischen Zeitungen sollten gegen die liberalen Blätter auf der ganzen Linie den Kampf eröffnen, und er wollte sich über einen bestimmten Punkt verständigen. Nathan, Merlin, alle Mitarbeiter des ›Réveil‹ sprachen über den Einfluß des halbwöchentlich erscheinenden Blattes von Léon Giraud, der um so verderblicher war, als seine Sprache sich klug, vorsichtig und gemäßigt hielt. Man fing an, von dem Zirkel der Rue des Quatre-Vents zu sprechen, man nannte ihn einen Konvent. Es war beschlossen worden, daß die royalistischen Zeitungen einen systematischen Kampf auf Leben und Tod gegen diese gefährlichen Gegner führen sollten, die in der Tat den Anstoß zur Begründung der Partei der Doktrinäre gaben, dieser verhängnisvollen Sekte, die von dem Tage an, wo die erbärmlichste Rachsucht den glänzendsten royalistischen Schriftsteller dazu gebracht hatte sich mit ihnen zu verbinden, begann, die Bourbonen zu stürzen. D'Arthez, dessen absolutistische Anschauungen unbekannt waren, sollte das erste Opfer des über den Zirkel verhängten Bannspruchs werden. Sein Buch sollte, nach dem klassischen Worte, verrissen werden. Lucien weigerte sich, den Artikel zu schreiben. Diese Weigerung erregte bei den angesehenen Männern der royalistischen Partei, die zu dieser Besprechung gekommen waren, das größte Ärgernis. Man erklärte Lucien rund heraus, ein Neubekehrter hätte keinen Willen; wenn es ihm nicht paßte, der Monarchie und der Religion zu dienen, dann könnte er in das Lager zurückkehren, aus dem er gekommen war. Merlin und Martainville nahmen ihn beiseite und machten ihm freundschaftlich klar, daß er Coralie dem Haß preisgab, den die liberalen Zeitungen ihr geschworen hätten, und daß sie die royalistischen und ministeriellen Blätter dann nicht mehr hätte, die für sie eintreten könnten. Die Schauspielerin würde, wenn er sich richtig benähme, ohne Zweifel Gegenstand einer hitzigen Polemik werden, die ihr den Ruhm brächte, nach dem alle Schauspielerinnen so begierig sind.
»Sie verstehen nichts davon,« sagte Martainville zu ihm; »sie wird drei Monate lang während des Kreuzfeuers unserer Artikel spielen und wird in den drei Monaten ihres Urlaubs in der Provinz dreißigtausend Franken verdienen. Wegen eines dieser Skrupel, die Sie, wenn Sie solche Bedenklichkeiten nicht völlig von sich abtun, immer hindern werden, ein Politiker zu sein, wollen Sie Coralie und ihre Zukunft töten und sich um Ihre Erwerbsquelle bringen.«
Lucien sah sich genötigt, zwischen d'Arthez und Coralie zu wählen: seine Geliebte war verloren, wenn er d'Arthez nicht in der großen Zeitung und im ›Réveil‹ abwürgte. Der arme Dichter ging nach Hause, er fühlte den Tod im Herzen. Er begab sich in sein Zimmer, setzte sich an den Kamin und las dieses Buch, das zu den schönsten der modernen Literatur gehört. Er las weinend Seite um Seite, er zögerte lange, aber endlich schrieb er einen boshaften Artikel, wie er sie so gut schreiben konnte; er nahm dieses Buch her, wie die Kinder einen schönen Vogel hernehmen, um ihm die Federn auszureißen und ihn zu quälen. Seine grimmigen Späße waren dazu angetan, dem Buche zu schaden. Als er noch einmal in dem schönen Werk las, erwachten alle seine guten Gefühle: nachts um zwölf Uhr begab er sich auf den Weg quer durch Paris und langte vor dem Hause von d'Arthez an. Durch die Scheiben sah er den Schein des reinen Lichts, das er so oft mit der Bewunderung gesehen hatte, die die edle Energie und Ausdauer dieses wahrhaft großen Mannes verdiente, er fühlte nicht die Kraft in sich, hinaufzugehen, und blieb ein paar Augenblicke auf einem Prellstein sitzen. Endlich brachte ihn sein guter Engel dazu, daß er hinaufging. Er klopfte an und fand d'Arthez in dem kalten ungeheizten Zimmer beim Lesen.
»Was ist dir?« fragte der junge Schriftsteller, als er Lucien sah. Er ahnte, daß nur ein großes Unglück ihn herführen konnte.
»Dein Buch ist herrlich!« rief Lucien mit Tränen in den Augen, »und sie haben mir befohlen, es anzugreifen.«
»Armer Junge, du ißt ein bitteres Brot!« sagte d'Arthez. »Ich bitte dich nur um eines, bewahre Schweigen über meinen Besuch und laß mich in meiner Hölle, bei dieser Tätigkeit eines Verdammten. Vielleicht kommt man nur hoch, wenn man erst an den empfindlichsten Stellen des Herzens Schwielen bekommen hat.«
»Immer derselbe«, rief d'Arthez.
»Du hältst mich für einen Feigling! Nein, d'Arthez, nein, es ist
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