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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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der Nähe Angoulêmes am Ufer der Charente sich erstrecken; sie verspeisten ihre Vorräte, die Davids Lehrling zu einer bestimmten Stunde an einen verabredeten Ort gebracht hatte, im Grünen; dann kehrten sie abends ein wenig ermüdet heim und hatten noch keine drei Franken ausgegeben. Wenn es hoch kam, aßen sie in einem ländlichen Gasthaus zu Mittag, das die Mitte hielt zwischen einer Provinzkneipe und einer Pariser Schenke, und brachten es bis zu hundert Sous, die zwischen David und den Chardons verteilt wurden. David rechnete es Lucien sehr hoch an, daß er bei diesen ländlichen Festen die Genüsse vergaß, die er bei Frau von Bargeton und den üppigen Diners der großen Welt zu finden gewohnt war, denn jeder wollte jetzt den großen Mann von Angoulême feiern.
    Unter solchen Umständen und in einem Augenblick, wo fast alles für den künftigen Haushalt bereit war – David war nach Marsac gereist, um seinen Vater zu bewegen, der Hochzeit beizuwohnen, da er hoffte, der Alte werde, wenn ihm seine Schwiegertochter gefiele, zu den sehr großen Unkosten des Umbaues etwas beitragen –, ereignete sich eines der Geschehnisse, die in einer Kleinstadt allen Dingen ein anderes Gesicht geben. Lucien und Louise hatten in Châtelet einen geheimen Spion, der mit der Hartnäckigkeit seines Hasses, dem sich Leidenschaft und Habgier gesellen, auf die Gelegenheit lauerte, einen Skandal herbeizuführen. Sixtus wollte Frau von Bargeton zwingen, sich so für Lucien zu kompromittieren, daß sie das werden mußte, was man ›verloren‹ nennt. Er benahm sich als schlichter Vertrauter der Frau von Bargeton; aber er bewunderte Lucien nur in der Rue du Minage, überall anderswo riß er ihn herunter. Er war allmählich zu einem recht intimen Verkehr mit Naïs gekommen, die gegen ihren alten Anbeter kein Mißtrauen mehr hegte, aber er mutmaßte über den Verkehr der beiden Liebenden zuviel. Ihre Liebe blieb zur großen Verzweiflung Louisens und Luciens platonisch. Es gibt in der Tat Liebesverhältnisse, die gut oder schlecht, wie man will, von Stapel gehen. Zwei Menschen werfen sich auf die Taktik des Gefühlsaustausches, sprechen, anstatt zu handeln, und schlagen sich auf freiem Feld, anstatt eine Belagerung vorzunehmen. So werden sie oft einander überdrüssig, indem sie ihre Sehnsucht ins Leere verpuffen. Zwei Liebende sind dann so weit, daß sie Zeit finden, nachzudenken und sich kritisch zu betrachten. Oft kehren so Leidenschaften, die mit fliegenden Fahnen und in strahlendem Schmuck, mit einer Glut, die alles umwerfen wollte, ins Feld gezogen waren, schließlich ohne Sieg, beschämt, entwaffnet, ärgerlich über ihren leeren Lärm, nach Hause zurück. Dieses Verhängnis erklärt sich manchmal mit der Schüchternheit der Jugend und dem Hinzögern, zu dem Frauen, die Anfängerinnen sind, neigen, denn diese Art gegenseitigen Betrugs passiert weder den erfahrenen Praktikern noch den Koketten, die mit der Leidenschaft umzugehen wissen.
    Das Provinzleben steht überdies der Befriedigung der Liebe seltsam feindlich gegenüber und begünstigt in der Leidenschaft die verstandesgemäßen Auseinandersetzungen; und ebenso stürzen die Hindernisse, die es dem süßen Verkehr, der die Liebenden so sehr verbindet, entgegensetzt, die glühenden Seelen in Zwiespalt miteinander. Dieses Leben ist auf eine so ängstliche Spionage begründet, auf eine so große Durchsichtigkeit der Häuser, es erlaubt so wenig eine Intimität, die befriedigt, ohne die Tugend zu verletzen, die reinsten Beziehungen werden so sinnlos bezichtigt, daß viele Frauen entehrt werden, obgleich sie unschuldig sind. Manche unter ihnen werden dann ungehalten, daß sie nicht alle Wonnen eines Fehlers genießen, dessen schlimme Folgen sie alle tragen müssen. Die Gesellschaft, die ohne irgendeine ernsthafte Prüfung die offenkundigen Tatsachen, die langen geheimen Kämpfen ein Ende setzen, tadelt oder kritisiert, ist also ursprünglich mitschuldig an diesen Skandalen; aber die meisten Menschen, die gegen die angeblichen Skandale zetern, an denen zu Unrecht verleumdete Frauen schuld sein sollen, haben nie an die Ursachen gedacht, die sie schließlich zu einer öffentlichen Handlung bringen. Frau von Bargeton sollte in diese verrückte Lage kommen, in die so viele Frauen gekommen sind, die erst Verlorene wurden, nachdem sie ungerecht beschuldigt worden waren.
    Beim Beginn einer Leidenschaft schrecken unerfahrene Menschen vor den Hindernissen zurück; und die Hindernisse, die unsere

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