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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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zufrieden mit diesem Duell, das Frau von Bargeton zur Witwe machen konnte und es ihr dann doch unmöglich machte, Lucien, der die Veranlassung zu dem Duell war, zu heiraten. »Stanislaus,« sagte Châtelet zu Herrn von Chandour, »Bargeton kommt ohne Zweifel, um Sie wegen der Reden, die Sie über Naïs geführt haben, zur Rechenschaft zu ziehen. Kommen Sie ins Zimmer Ihrer Frau und benehmen Sie sich beide als Edelleute. Machen Sie keinen Lärm, seien Sie recht höflich zueinander, beweisen Sie die ganze Kälte britischer Würde.«
    Im nächsten Augenblick waren Stanislaus und Châtelet bei Bargeton.
    »Mein Herr,« sagte der beleidigte Gatte, »Sie behaupten, Sie hätten Frau von Bargeton mit Herrn von Rubempré in einer zweideutigen Situation getroffen?«
    »Mit Herrn Chardon«, erwiderte Stanislaus ironisch, der Bargeton für keinen hervorragenden Kopf hielt.
    »Gleichviel,« entgegnete der Gatte; »wenn Sie diese Behauptung nicht vor der Gesellschaft, die in diesem Augenblick bei Ihnen versammelt ist, zurücknehmen, ersuche ich Sie, sich einen Zeugen zu wählen. Mein Schwiegervater, Herr von Nègrepelisse, wird Sie um vier Uhr morgens aufsuchen. Inzwischen kann jeder seine Anordnungen treffen, denn die Sache kann nur in der Weise erledigt werden, die ich eben andeutete. Ich wähle Pistolen, ich bin der Beleidigte.«
    Unterwegs hatte Herr von Bargeton diese Ansprache hin und her überlegt. Sie war die längste seines Lebens, er sprach sie völlig leidenschaftslos und mit dem ruhigsten Gesicht von der Welt. Stanislaus wurde blaß und fragte sich selbst: »Was habe ich schließlich gesehen?«
    Aber zwischen der Schande, seine Worte vor der ganzen Stadt in Anwesenheit dieses Schweigsamen, der keinen Spaß zu verstehen schien, zurückzunehmen, und der Furcht, der gräßlichen Furcht, die ihm mit ihren heißen Händen den Hals zuschnürte, wählte er die entferntere Gefahr.
    »Gut. Auf morgen«, sagte er zu Herrn von Bargeton und dachte, die Sache könnte inzwischen noch beigelegt werden.
    Die drei Männer begaben sich wieder in den Salon zurück, und alle blickten ihnen forschend ins Gesicht: Châtelet lächelte, Herr von Bargeton sah genau so aus, wie wenn er bei sich zu Hause wäre, aber Stanislaus war leichenblaß. Bei diesem Anblick errieten einige Frauen den Gegenstand der Aussprache. Die Worte »sie duellieren sich!« gingen von Mund zu Mund. Die Hälfte der Gesellschaft dachte, Stanislaus müsse unrecht haben, seine Blässe und die ganze Art seiner Haltung kündeten eine Lüge an; die andere Hälfte bewunderte die Haltung des Herrn von Bargeton. Châtelet spielte den Feierlichen und Geheimnisvollen. Herr von Bargeton blieb einige Augenblicke und erforschte die Mienen der Anwesenden, dann ging er.
    »Haben Sie Pistolen?« fragte Châtelet leise Stanislaus, der von Kopf bis zu Fuß bebte.
    Amélie verstand alles und wurde ohnmächtig; die Frauen bemühten sich um sie und trugen sie in ihr Schlafzimmer. Ein schrecklicher Lärm entstand, alle sprachen zu gleicher Zeit. Die Männer blieben im Salon und erklärten einstimmig, Herr von Bargeton wäre im Recht.
    »Hätten Sie dem Guten zugetraut, daß er sich so wacker hielte?« fragte Herr von Saintot. »Aber«, erwiderte der unbarmherzige Jacques, »in seiner Jugend war er einer der besten Schützen. Mein Vater hat mir oft von den Waffentaten Bargetons erzählt.«
    »Bah! Sie stellen sie zwanzig Schritt voneinander, und sie verfehlen sich, wenn Sie Kavalleriepistolen nehmen«, sagte Francis zu Châtelet.
    Als sich alle verabschiedet hatten, beruhigte Châtelet Stanislaus und seine Frau und erklärte ihnen, alles werde gut gehen, und in einem Duell zwischen einem Sechzigjährigen und einem Sechsunddreißigjährigen sei dieser im Vorteil.
    Als am nächsten Morgen Lucien mit David, der ohne seinen Vater von Marsac zurückgekehrt war, beim Frühstück saß, trat Frau Chardon ganz aufgeregt herein.
    »Lucien, weißt du denn das Neueste, von dem man schon auf dem Markte spricht? Herr von Bargeton hat Herrn von Chandour heute morgen um fünf Uhr auf einer Wiese beinahe getötet. Herr von Chandour soll gestern gesagt haben, er habe dich mit Frau von Bargeton zusammen überrascht.«
    »Falsch!« rief Lucien, »Frau von Bargeton ist unschuldig.«
    »Ein Landmann, den ich die Einzelheiten erzählen hörte, hat von seinem Wagen aus alles mit angesehen. Herr von Nègrepelisse war schon um drei Uhr morgens hereingekommen, um Herrn von Bargeton zu sekundieren; er hat zu Herrn von

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