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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sagte nach einer kleinen Pause: »Urteilt nicht falsch über mich, geliebte Menschen.«
    Er griff nach Eva und David, zog sie zu sich heran, drückte sie an sich, küßte sie und sprach: »Wartet ab, was daraus entsteht; ihr werdet sehen, wie ich euch liebe. David, wozu diente unser hoher Gedankenflug, wenn er uns nicht erlaubte, gleichgültig gegen die kleinen Zeremonien zu sein, mit denen die Gesetze unsere Gefühle umwickeln? Wird nicht trotz der Entfernung meine Seele hier sein? Wird uns nicht der Gedanke vereinigen? Werden die Verleger hierher kommen, um meinen »Bogenschützen Karls IX.« und meine »Marguersten« von mir zu bekommen? Früher oder später mußte ich einmal doch tun, was ich jetzt tue. Aber konnte ich jemals günstigere Bedingungen finden? Hängt nicht mein ganzes Glück davon ab, daß ich bei meinem ersten Auftreten in Paris zu dem Salon der Marquise d'Espard Zutritt habe?«
    »Er hat recht«, sagte Eva. »Sagtest du mir nicht selbst, er müßte bald nach Paris gehen?«
    David nahm Eva bei der Hand, führte sie in den engen Raum, in dem sie seit sieben Jahren schlief, und sagte ihr ins Ohr: »Er braucht zweitausend Franken, sagtest du, Liebste? Postel gibt nur tausend her.«
    Eva sah ihren Verlobten mit einem ängstlichen Blick an, der all ihren Kummer zum Ausdruck brachte.
    »Höre, geliebte Eva! wir werden unser Leben schlecht anfangen. Jawohl, meine Ausgaben haben alles verschlungen, was ich besessen habe. Es bleiben mir nur zweitausend Franken, und die Hälfte ist unentbehrlich, damit die Druckerei weiterbestehen kann. Wenn ich deinem Bruder tausend Franken gebe, gebe ich ihm unser Brot, gefährde ich unsere Existenz. Wenn ich allein wäre, wüßte ich, was ich täte, aber wir sind zwei. Entscheide.«
    Eva warf sich, außer sich, ihrem Geliebten in die Arme, küßte ihn zärtlich und sagte ihm, von Tränen überströmt, ins Ohr: »Tu, wie wenn du allein wärst; ich werde arbeiten, um diese Summe wieder zu verdienen.«
    Trotz eines Kusses, der so glühend war, wie ihn je zwei Verlobte ausgetauscht haben, war Eva, als David sie allein ließ und zu Lucien trat, sehr niedergeschlagen.
    »Sei ohne Sorge,« sagte David zu Lucien, »du sollst deine zweitausend Franken haben.«
    »Geht zu Postel,« sagte Frau Chardon, »ihr müßt beide den Wechsel unterschreiben.«
    Als die beiden Freunde wieder heraufkamen, überraschten sie Eva und ihre Mutter, wie sie auf den Knien zu Gott beteten. Obwohl sie wußten, wieviel Hoffnungen die Rückkehr erfüllen mußte, fühlten sie doch in diesem Augenblick alles, was sie mit diesem Abschied verloren, sie fanden das Glück der Zukunft zu teuer mit einer Abwesenheit erkauft, die sie unglücklich machte und sie in tausend Ängste über das Schicksal Luciens versetzte.
    »Wenn du jemals diese Szene vergäßest,« flüsterte David Lucien ins Ohr, »wärst du der niedrigste aller Menschen.«
    Der Buchdrucker hielt ohne Zweifel diese ernsten Worte für nötig, der Einfluß der Frau von Bargeton ängstigte ihn nicht weniger als die unheilvolle Unbeständigkeit von Luciens Charakter, die ihn ebenso auf den schlimmen wie auf den rechten Weg bringen konnte. Eva hatte Luciens Bündel schnell geschnürt. Dieser Fernando Cortez der Literatur nahm wenig mit sich. Er behielt seinen besten Gehrock, seine beste Weste und eins seiner zwei besten Hemden an. Seine ganze Wäsche, sein berühmter Anzug, seine Siebensachen und seine Manuskripte bildeten ein so kleines Paket, daß David vorschlug, er wolle es, damit es den Augen der Frau von Bargeton verborgen bliebe, mit der Eilpost seinem Geschäftsfreund, einem Papierhändler, schicken und ihm schreiben, er solle es Lucien übergeben.
    Trotz den Vorsichtsmaßregeln Frau von Bargetons zur Geheimhaltung ihrer Abreise erfuhr Châtelet davon und wollte wissen, ob sie die Reise allein oder in Begleitung Luciens machte; er schickte seinen Kammerdiener nach Ruffec mit dem Auftrag, die Insassen aller Wagen, die auf der Post die Pferde wechselten, zu beobachten. »Wenn sie ihren Dichter mitnimmt,« dachte er, »gehört sie mir.«
    Lucien reiste am nächsten Morgen bei Tagesanbruch ab. Er war von David begleitet, der sich ein Kabriolett und ein Pferd verschafft hatte, wobei er sagte, er hätte geschäftliche Dinge mit seinem Vater zu erledigen, was unter den jetzigen Umständen wahrscheinlich war. Die beiden Freunde begaben sich nach Marsac und verbrachten dort einen Teil des Tages bei dem alten Bären; am Abend fuhren sie dann bis über

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