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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ausgesuchten Foltern zu bestrafen, wie sie die Wilden erfunden haben. Er sah Canalis vorüberreiten, elegant, wie es der gefälligste aller Dichter sein mußte, und immer mit der Hand am Hute zur Begrüßung der schönsten Frauen.
    »Mein Gott! Gold, Gold um jeden Preis!« sagte sich Lucien, »das Geld ist die einzige Macht, vor der diese Welt kniet.« – »Nein!« rief ihm sein Gewissen zu, »sondern der Ruhm, und der Ruhm ist Arbeit! Arbeit! heißt die Parole Davids.« – »Mein Gott! warum bin ich hier? Aber ich werde triumphieren, ich werde in dieser Allee in der Kalesche fahren, und ein Leibjäger wird hinten stehen! Ich werde Weiber haben wie diese Marquise d'Espard!«
    Als er diese wütenden Worte hervorstieß, aß er für vierzig Sous bei Hurbain. Am nächsten Tag um neun Uhr morgens ging er zu Louise, um ihr ihre Grausamkeit vorzuwerfen; Frau von Bargeton war nicht nur für ihn nicht zu sprechen, sondern der Portier ließ ihn noch nicht einmal die Treppe hinaufgehen; er blieb auf der Straße und stand bis Mittag Posten. Mittags kam Châtelet von Frau von Bargeton herunter, sah den Dichter von der Seite an und schnitt ihn. Lucien, der aufs äußerste gereizt war, ging seinem Nebenbuhler nach; als Châtelet merkte, daß er verfolgt wurde, drehte er sich um und grüßte ihn, in der offenbaren Absicht, nach dieser Höflichkeit weiterzugehen.
    »Bitte, Herr du Châtelet,« sagte Lucien, »gestatten Sie mir eine Sekunde, ich habe nur zwei Worte zu sagen. Sie haben mir Freundschaft bezeigt, ich berufe mich darauf, um einen ganz leichten Dienst von Ihnen zu erbitten. Sie kommen von Frau von Bargeton: sagen Sie mir, warum ich bei ihr und der Marquise d'Espard in Ungnade gefallen bin.«
    »Herr Chardon,« sagte Châtelet mit angenommener Gutmütigkeit, »wissen Sie, warum die Damen Sie in der Oper verlassen haben?«
    »Nein«, erwiderte der arme Dichter.
    »Nun, gleich bei Ihrem ersten Auftreten hat Ihnen Herr von Rastignac einen schlechten Dienst erwiesen. Der junge Dandy wurde über Sie befragt und hat kurz und bündig erklärt, daß Sie Chardon und nicht von Rubempré heißen, daß Ihre Mutter Wochenpflegerin ist; daß Ihr Vater bei Lebzeiten Apotheker in Houmeau, der Vorstadt Angoulêmes, war; daß Ihre Schwester ein reizendes Mädchen ist, die ausgezeichnet Hemden plättet und im Begriff steht, einen Buchdrucker von Angoulême namens Séchard zu heiraten. So ist die Welt! Wer sich zur Schau stellt, über den wird geredet. Herr von Marsay kam herüber und lachte mit der Marquise d'Espard auf Ihre Kosten, und die beiden Damen sind sofort geflohen, weil sie glaubten, in Ihrer Nähe kompromittiert zu werden. Machen Sie keinen Versuch, zur einen oder zur andern zu gehen, Frau von Bargeton würde von ihrer Cousine nicht mehr empfangen werden, wenn sie fortführe, Sie zu sehen. Sie haben Geist und Talent, versuchen Sie, sich zu rächen. Die Welt verachtet Sie, verachten Sie die Welt. Flüchten Sie in eine Mansarde, schaffen Sie dort Meisterwerke, erlangen Sie irgendeine Macht, und Sie werden die Welt zu Ihren Füßen sehen; Sie geben ihr alsdann die Wunden an derselben Stelle zurück, wo Sie sie empfangen haben. Je mehr Frau von Bargeton Ihnen Freundschaft bezeigt hat, um so fremder wird sie sich Ihnen jetzt geben. Das ist so mit den weiblichen Gefühlen. Aber es handelt sich in diesem Augenblick nicht darum, die Freundschaft von Anaïs wiederzuerobern, es handelt sich darum, sie nicht zur Feindin zu haben, und ich will Ihnen das Mittel sagen. Sie hat Ihnen geschrieben, geben Sie ihr alle ihre Briefe zurück, sie wird für dieses vornehme Benehmen erkenntlich sein; wenn Sie sie später brauchen, wird sie Ihnen nicht feindselig gesinnt sein. Ich für mein Teil habe eine so hohe Meinung von Ihrer Zukunft, daß ich Sie überall in Schutz genommen habe und daß Sie mich schon jetzt, wenn ich irgend etwas für Sie tun kann, bereit finden, Ihnen zu dienen.«
    Lucien war so niedergeschmettert, so blaß und verstört, daß er dem alten Gecken, den die Pariser Luft wieder verjüngt hatte, den trocken höflichen Gruß nicht erwiderte, mit dem er ihn verließ. Er kehrte in sein Hotel zurück, wo er Staub in Person antraf, der angeblich gekommen war, um ihm seinen Anzug zu probieren, in Wahrheit aber, um von der Wirtin des Gaillard-Bois zu erfahren, wie es mit der Zahlungsfähigkeit seines unbekannten Kunden stünde. Lucien war mit der Post angekommen, Frau von Bargeton hatte ihn am letzten Donnerstag im Wagen ins Vaudeville

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