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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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war.
    Die Gabe des zweiten Gesichts, die die Leute von Talent besitzen, ließ ihn die Katastrophe ahnen, die dieses frostige Billett ankündigte. Er ging in Gedanken verloren weiter, immer geradeaus, und betrachtete die Denkmäler der Place Louis XV. Es war schönes Wetter. Prächtige Equipagen fuhren fortwährend an ihm vorbei in der Richtung nach der großen Allee der Champs Elysées. Er folgte der Menge der Spaziergänger und sah nun die drei- oder viertausend Wagen, die an einem schönen Sonntag an diesem Ort zusammenströmen und ein Longchamp improvisieren. Von der Pracht der Pferde, der Toiletten und Livreen geblendet, ging er immer weiter und kam zum Triumphbogen, der damals begonnen worden war. Er kehrte um. Wie wurde ihm aber, als er Madame d'Espard und Frau von Bargeton in einer Kalesche mit einem prachtvollen Gespann auf sich zukommen sah, hinter der die Federn des Leibjägers flatterten, dessen grüne, goldgestickte Livree ihn zuerst auf sie aufmerksam machte. Die Wagenreihe kam ins Stocken, und Lucien konnte deutlich sehen, was für eine Umwandlung sich mit Louise vollzogen hatte. Sie war nicht zum Wiedererkennen: die Farben ihrer Toilette waren so gewählt, daß ihr Teint zur rechten Geltung kam; ihr Kleid war entzückend; ihre Haare waren anmutig frisiert und standen ihr gut zu Gesicht, und ihr Hut war von erlesenem Geschmack und konnte sich sogar neben dem der Marquise d'Espard sehen lassen, die maßgebend für die Mode war. Es gibt eine undefinierbare Art, einen Hut zu tragen: man setze den Hut ein wenig nach hinten, und man sieht keck aus; man setze ihn zu sehr nach vorn, dann sieht man verschmitzt aus; sitzt er zur Seite, bekommt man ein burschikoses Aussehen; und die Frauen von Welt setzen ihre Hüte, wie sie wollen, und sehen immer gut aus. Frau von Bargeton hatte dieses seltsame Problem sofort gelöst. Ein hübscher Gürtel stand gut zu ihrer schlanken Taille. Sie hatte die Handbewegungen und das Benehmen ihrer Cousine angenommen; sie saß wie sie da und spielte mit einem eleganten Riechdöschen, das mit einem Kettchen an einem der Finger der rechten Hand befestigt war, und zeigte so ihre zarte, schön behandschuhte Hand, ohne daß es so aussah, als ob sie sie zeigen wollte. Kurz, sie hatte sich Frau d'Espard ähnlich gemacht, ohne sie nachzuäffen; sie war die würdige Cousine der Marquise, die auf ihre Schülerin stolz zu sein schien. Die Damen und Herren, die auf der Allee spazieren gingen, sahen nach dem glänzenden Wagen, der die beiden Wappenschilder der d'Espard und der Blamont-Chauvry trug. Lucien war erstaunt über die große Zahl Personen, die die beiden Cousinen grüßten; er wußte nicht, daß dieses ganze Paris, das aus zwanzig Salons besteht, das Verwandtschaftsverhältnis der Frau von Bargeton und der Marquise d'Espard bereits kannte. Junge Herren zu Pferde, unter denen Lucien Herrn von Marsay und Rastignac bemerkte, schlossen sich der Kalesche an, um die beiden Cousinen ins Bois zu geleiten. Lucien konnte leicht an den Gesten der beiden Stutzer sehen, daß sie Frau von Bargeton über ihre Metamorphose Komplimente sagten. Madame d'Espard strahlte von Heiterkeit und Gesundheit: ihre Unpäßlichkeit war also nur ein Vorwand, um Lucien nicht zu empfangen, und sie dachte nicht daran, ihr Diner auf einen andern Tag zu verlegen. Der wütende Dichter näherte sich der Kalesche, ging langsam und grüßte die Damen, als er gerade vor ihnen stand: Frau von Bargeton wollte ihn nicht sehen, die Marquise betrachtete ihn durch ihr Lorgnon und erwiderte seinen Gruß nicht. Die Zurückweisung von seiten der Pariser Aristokratie war nicht so wie die der Herren von Angoulême: die Krautjunker hatten sich zwar bemüht, Lucien zu verletzen, hatten aber doch zugleich seine Macht anerkannt und ihn für einen Menschen genommen; während er für die Marquise d'Espard nicht einmal existierte. Es war kein Urteil, sondern eine Rechtsverweigerung. Den armen Dichter überlief ein gräßlicher Schüttelfrost, als Herr von Marsay ihn lorgnettierte; der Pariser Löwe ließ sein Lorgnon so seltsam herunterfallen, daß es Lucien vorkam, als wäre es das Beil der Guillotine. Die Kalesche fuhr vorbei. Wut und Rachsucht bemächtigten sich dieses verachteten Menschen: wenn Frau von Bargeton vor ihm gestanden hätte, würde er sie erwürgt haben; in seiner Phantasie war er Fouquier-Tinville, um die Wonne zu kosten, Frau d'Espard aufs Schafott zu schicken; er verspürte ein Gelüste, Herrn von Marsay mit einer der

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