Verlorene Liebe
Augenblick davon.
Mary war eine der wenigen Angestellten bei Fantasy, die an sieben Abenden in der Woche Anrufe entgegennahmen. Wenn eine ihrer Kolleginnen einen Kunden aus irgendwelchen Gründen ablehnte oder seine Wünsche als zu abartig empfand, sprang Roxanne gern für sie ein. Das Geld, das Mary dabei verdiente, gab sie für Reizwäsche aus roter Seide, Parfüms und Nahrungsmittel aus. Vor allem für letzteres. Zwischen zwei Anrufen konnte sie mit Leichtigkeit eine Jumbotüte Kartoffelchips und dazu ein großes Glas Tzaziki mit viel Knoblauch verdrücken.
Sie erkannte Lawrence gleich an der Stimme, und sie wußte auch über seine Vorlieben Bescheid. Obwohl er nicht zu den Abartigsten unter ihren Stammkunden gehörte, liebte er es, gelegentlich mit Fantasien über Leder und Handschellen überrascht zu werden. Lawrence hatte ihr von Anfang an die Wahrheit über seine äußere Erscheinung gesagt. Sie glaubte ihm, denn wer würde schon freiwillig von sich behaupten, einen Überbiß zu haben und an Asthma zu leiden. Dreimal in der Woche rief er bei ihr an – ein Drei-Minuten-Quickie und zwei reguläre Gespräche zu sieben Minuten. Lawrence arbeitete als Buchhalter, und so hatten sie auch über den Sex hinaus noch ein gemeinsames Gesprächsthema.
Roxanne hatte überall in ihrem Zimmer Kerzen aufgestellt und angezündet. Sie schuf sich gern das passende Ambiente, während sie sich mit einer Zweiliterflasche der guten, alten zuckersüßen Coca-Cola auf ihrem überdimensionierten Bett ausbreitete. Mary machte es sich auf dem Satinbezug bequem, schob sich ein paar Kissen in den Rücken, und wenn sie mit Lawrence sprach, spielten ihre Finger mit der Telefonschnur.
»Du weißt, daß ich ganz besonders gern mit dir spreche, Lawrence. Mir wird schon bei dem Gedanken, deine Stimme zu hören, ganz kribbelig. Ich trage heute ein neues Negligé. Es ist rot, und der Stoff ist durchsichtig.« Sie lachte leise und schmiegte sich in die Kissen. Zur Zeit hatte sie die Figur einer Mastkuh, und die Beine vermochten den Körper kaum noch zu tragen. »Du unartiger Junge, Lawrence. Wenn es wirklich das ist, was du von mir willst, nun, das tue ich gerade und stelle mir dabei vor, du wärst es. Also gut, dann hör nur zu. Lehn dich zurück, und ich erzähle dir ganz genau, was ich in diesem Moment mache.«
Er wußte, daß er zu schnell vorging, aber verdammt nochmal, er mußte einfach feststellen, ob es noch einmal zu einem solchen Erlebnis kommen konnte. Roxanne schien wie geschaffen dafür. Kaum hatte er ihre Stimme zum erstenmal vernommen, wußte er, daß sie die Richtige war. Auf seinen Armen hatte sich eine Gänsehaut gebildet, und sein Glied hatte sich so rasch und hart versteift, daß es ihm weh tat.
Roxanne mußte die nächste werden. Sie wartete schon auf ihn. Sie lockte ihn nicht mit heißen Versprechen wie Desiree, sondern bildete die nächste Stufe. Roxanne sprach von Dingen, die er sich selbst in seinen kühnsten Träumen nie vorgestellt hatte. Sie wollte, daß er ihr Schmerzen zufügte. Wie hätte er da widerstehen können?
Aber er mußte vorsichtig sein.
In dieser Gegend hier ging es nicht so ruhig zu wie in der von Desiree. Auf der Straße herrschte reger Verkehr, und auf den Bürgersteigen eilten Passanten hin und her. Aber vielleicht war es nicht das schlechteste, wenn jemand ihn bemerkte und sich womöglich später an ihn erinnerte. Die Vorstellung erhöhte seinen Nervenkitzel.
Das Haus, in dem sich Roxannes Apartment befand, stand in der Wisconsin Avenue. Jerald hatte seinen Wagen zwei Blocks davon entfernt abgestellt. Er zwang sich, langsam zu gehen, weniger, um nicht aufzufallen, als vielmehr um alles an dieser Nacht genießen zu können. Wolken zogen über den Himmel, und ein leichter Wind wehte. So blieb sein Gesicht kühl, doch die Hände in den Taschen seiner Schuljacke waren erhitzt und schwitzig. Seine Finger schlossen sich um das Seil, das er aus der Hausmeisterloge mitgenommen hatte. Roxanne würde es begrüßen, daß er an das gedacht hatte, was sie am meisten mochte. Oh, wie sehr würde sie sich dafür begeistern.
Offiziell hielt er sich jetzt in der Bibliothek auf, um für ein Referat über den Zweiten Weltkrieg zu recherchieren. Die Arbeit hatte er schon vor einer Woche geschrieben, aber das brauchte seine Mutter ja nicht zu wissen. Sie war nach Michigan geflogen, um für seinen Vater die Werbetrommel zu rühren.
Nach Ende des Schuljahres wurde von Jerald erwartet, sich zu den beiden zu
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