Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
hatte wieder diesen gütigen Ausdruck eines Großvaters, der seine Enkelin betrachtete.
*
Pünktlich um halb vier stand Reto Winterhalter in der Lobby der Klinik und wunderte sich darüber, wie viele Menschen immer noch oder bereits wieder vor der Theke der Rezeption standen. Er hörte Gesprächsfetzen mit.
„Wie soll man denn hier gesund werden in dieser Klinik? Erst wird man bestohlen, jetzt passiert ein Mord und die Polizei besitzt noch die Dreistigkeit mich zu fragen, was ich letzte Nacht getan habe“, tönte sie so laut, dass es die halbe Lobby hören konnte. Die Frau hinter dem Tresen redete beschwichtigend auf die Frau ein.
Es war natürlich Frau Güstrow, die Dame, der Tage zuvor der Ring gestohlen worden war. Ihre Geduld schien nur erschöpft zu sein und sie forderte lautstark, auf der Stelle mit Frau von Hohenstetten unter vier Augen zu sprechen.
Reto Winterhalter bildete sich sein Urteil über die Frau. Als er Carola Pütz in die Lobby treten sah, hatte er sie bereits vergessen.
„Hallo meine liebe Frau Doktor“, sagte er und Carola Pütz sah ehrliche Freude in seinen Augen. Die saß direkt neben dem Schalk, der wohl immer dort anwesend zu sein schien.
„Hallo Herr Winterhalter, schön Sie zu sehen“, sagte sie sehr förmlich und kam sich dabei direkt wieder recht dämlich vor. Wieso schaffte es dieser Mann, dass sie sich so oft wie ein Schulmädchen benahm?
Winterhalter war so galant und sah darüber hinweg. Oder er bemerkte es nicht, was sie nicht glaubte.
„Es schlägt ja sehr hohe Wellen, wie mir scheint“, sagte er und lenkte ab.
„Ja, mächtig hohe Wellen, die an den Festen der Klinik rütteln. Aber das erzähle ich Ihnen später. Können wir gehen? Ich brauche einen Ortswechsel!“
Er hielt ihr den Arm hin und sie griff zu , ohne zu zögern. Vor der Türe atmete sie ein, zweimal tief durch.
„Es geistern hier die verrücktesten Gerüchte durch das Haus“, sagte sie, als sie einige Meter die Auffahrt hinuntergegangen waren.
„Ja?“
Sie beobachtete sich dabei, wie sie die Hand Winterhalters betrachtete und dabei befriedigt feststellte, dass sie ringfrei war.
Was tust Du?
„Ja, es gibt die Gerüchte, dass das Mädchen die Diebin gewesen ist, und dass man sie nun umgebracht hat, damit sie nicht ihre Hintermänner verraten kann. Ich hatte ja von den Diebstählen berichtet. Hatte ich doch?“, fragte sie.
„Kurz“, antwortete er.
„Es gab zwei Diebstähle. Ein Opfer haben Sie eben in der Lobby gehört.“
„Hmh, manche Menschen ziehen es an, dass man sie bestiehlt. Sie sollten sich dann nicht wundern, wenn es wirklich passiert“, sagte Winterhalter.
Sie überlegte kurz, dann verstand sie, was er meinte. Sie lächelte.
„Hauptsache im Mittelpunkt. Meinen Sie das?“
„Ja, es gibt Menschen, deren Selbstbewusstsein ist so klein, dass sie immer und ständig auf sich aufmerksam machen müssen. Wenn man sie mal nicht beachtet, ist das beinahe eine körperliche Strafe. Sie tragen Schmuck, damit man sie beachtet. Stiehlt man ihnen den Schmuck, so müssen sie sich sofort künstlich aufregen, weil man ihnen den Schmuck gestohlen hat. Dabei geht es ihnen nicht um den Verlust. Den bekommt man von der Versicherung ersetzt. Nein, egal welche Aufmerksamkeit sie erhalten können, sie ergreifen die Gelegenheit. Unsere Zeitungen sind voll von solchen Menschen.“
Carola Pütz bemerkte an seiner veränderten Aussprache, dass er sich aufregte. Es klang mehr nach Schweizer Deutsch, was er von sich gab.
„Sicher, die gibt es sicher grenzübergreifend“, sagte sie.
Sie bogen links ab und gingen in Richtung König Albert Theater weiter.
„Grenzübergreifend. Das ist übrigens ein gutes Stichwort für das, was ich Ihnen erzählen wollte“, sagte er und seine Stimme klang wieder verständlich für sie.
„Ach nebenbei, kennen Sie ein Café, was Sie empfehlen können?“, fragte sie.
„Es gibt ein kleines, nettes Café in der Nähe des Sees“, antwortete er.
„See?“, fragte sie.
„Ja, der See, ist ein Gondelteich und heißt Louisa-See. Man hat ihn nach einer Königin benannt. Kennen Sie den noch nicht?“
„Nein.“
„Dann haben w ir ein Ziel, wenn Sie zustimmen?“
„Sicher. Gern. Was war es, was Sie mit erzählen wollten?“
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Obwohl es nur Nuancen waren, fiel es ihr auf.
Langsam begann er , zu sprechen. „Es ist eine traurige Angelegenheit, die mich hierher führt. Es geht dabei auch um junge Menschen, so wie
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