Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
unser Opfer im Schwimmbad. Manchmal sind sie sogar noch jünger. Es geht um Ignoranz und Tatenlosigkeit der Polizei und der Behörden.“
„Also etwas, was jeden auf die Palme bringt“, sagte sie. Als er die junge Frau erwähnte, hatte sie für einen Moment ihre Augen vor sich. Noch lebendig. Aber starr vor Angst.
„Es wird sie noch mehr auf die Palme bringen, was ich Ihnen gleich erzähle.“
„Sie machen es aber spannend“, sagte sie und wackelte ein wenig an seinem Arm, den sie noch immer hielt.
„Es ist auch nicht so leicht zu erzählen. Es wirft kein gutes Licht auf die deutsche Politik. Ebenso wenig auf die tschechische Politik.“ Er stockte. Suchte nach den passenden Worten, weil er sich bewusst war, dass er eine herzkranke Frau neben sich hatte.
Dann sprach er weiter. „Es geht um Kinderprostitution. Und zwar in großem Stil. Nicht ganz zehn Kilometer von hier passiert es jeden Tag , dass sich Kinder auf der Straße deutschen Sextouristen anbieten.“
Pütz blieb abrupt stehen. Ließ seinen Arm los. Sie dachte schon weiter.
„Wollen Sie damit sagen, dass unser totes Kind Opfer eines Kinderschänders geworden ist?“
„Wenn ich ehrlich bin, war das schon mein Gedanke.“
„Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann passiert das doch auf tschechischer Seite, nicht hier in der Bundesrepublik. Oder habe ich das falsch verstanden?“ Sie wollte eigentlich nicht glauben, was sie eben selber ausgesprochen hatte.
Sicher, Kinderpornografie war ein Thema in Deutschland. Es gab eine Menge Sonderkommissionen und Sonderermittler, die sich tagtäglich damit auseinandersetzten. Doch jetzt hier damit konfrontiert zu werden, damit hatte sie nicht gerechnet.
„Nein, Sie haben das schon ganz richtig verstanden“, sagte er, „Aber wenn es bisher immer in Tschechien passiert ist, bedeutet es ja nicht, dass es so bleiben muss. Ich habe Kontakt zu einer Betreuerin auf tschechischer Seite aufgenommen, die mir bestätigt hat, dass es in der Szene Veränderungen gibt. Was nicht auf die vorzügliche Arbeit der Polizei diesseits und jenseits der Grenze zu tun hat, sondern mit der Faulheit der Freier. Was ich damit sagen will, ist, es gibt auch in den Kliniken Pädophile, die sich ihre Opfer quasi liefern lassen.“
Pütz kam nicht ganz mit. Eine fragende Falte legte sich quer über ihre Stirn. „Was für eine Betreuerin? Wen betreut sie? Die Opfer?“
„Ja, sie betreut tschechische Kinder, die entweder noch in der Szene sind, oder die aus der Szene ausgestiegen sind, weil sie zu alt geworden sind. Sie passen nicht mehr in das ‚Beuteschema‘ der Pädophilen.“
„Das ist alles bekannt und keiner tut etwas? Ich finde das unglaublich. Wieso tut niemand etwas dagegen?“
Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass Winterhalter etwas aus der Tasche zog. Es war ein Zeitungsartikel. Das Papier war schon recht zerfleddert. Er reichte ihr den Artikel, nachdem er ihn auseinandergefaltet hatte.
Die Überschrift lautete: ‚Vietnamesen-Märkte, Drogen und Kinderprostitution‘ und im Untertitel: ‚Der kleine Grenzverkehr‘.
Pütz überflog den Zeitungsbericht, der aus dem Jahr zweitausendzwölf stammte.
„Unglaublich. Was sind Vietnamesen-Märkte?“, fragte sie.
„Es gibt hinter der Grenze in Cheb ganze Stadtteile, die fest in vietnamesischer Hand sind. Dort kann man alles kaufen, billig und steuerfrei. Meist unter der Ladentheke. Früher haben die Vietnamesen ihr Geschäft mit Zigaretten gemacht. Heute gibt es dort Drogenküchen in den Hinterzimmern, die hauptsächlich Crystal zusammenkochen. Damit macht man heute sein Geld. Und mit gefälschten Markenartikeln.“
„Und keiner tut etwas dagegen? Was macht denn die tschechische Polizei?“
Er schüttelte den Kopf. „ Nicht viel. Die gehen da ungern rein. Und wenn dann nur, um mal hier und da eine Razzia zu machen. Um dem Vorwurf der Untätigkeit entgegenzutreten. Aber das ist wie bei einer Hydra. Schlägt man ihr einen Kopf ab, wachsen zwei nach. Daher belässt es die Polizei dabei, dass alles zu beobachten. Mehr nicht.“
„Und dort findet auch die Kinderprostitution statt?“
„Nein, das sind wiederum zwei verschiedene Baustellen, wenn man es so nennen darf.“
Mittlerweile waren sie am Louisa-See angelangt. Ihr fehlte im Moment das Auge, um festzustellen, wie schön dieser Ort auch im Winter war.
Sie überhörte sogar die unpassenden Worte Winterhalters. Sie überhörte sie wirklich, weil sich in ihrem Gehirn Szenen der vergangenen Nacht ein
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