Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
geschmückt und die ersten Gäste wurden eine halbe Stunde später erwartet. Carola stand mit ihrem Vater auf der Terrasse und umarmte ihn. Sie hatte soeben ihr Geschenk auspacken dürfen, wobei das Wort ‚Auspacken‘ nicht richtig gewählt war. Das Autohaus hatte ihr den heiß geliebten Golf gebracht. Ein schneeweißes Cabrio.
Bongo schlich an ihnen vorbei und inspizierte die Tische, ob sich dort schon etwas zu fressen finden ließ. Plötzlich brach er zusammen. Carola Pütz sah es im Augenwinkel und stieß einen schrillen Schrei aus: „Bongo!“
Sie stürzte zu ihrem Hund hinüber, hob seinen Kopf an und presste ihr Ohr auf seinen Brustkorb. Sein Herz schlug noch.
Ihre erste Fahrt in ihrem neuen Auto war eine Fahrt in den Tod. Ohne ihren Dalmatiner kam sie drei Stunden später wieder heim. Völlig verheult.
Die Ärzte hatten alles versucht, um sein Leben zu retten, ihn sogar einmal reanimiert. Doch vergebens. Bongo schlief kurze Zeit später in den Armen von Carola Pütz friedlich ein. Sie blieb neben dem toten Hund sitzen, solange, bis sie keine Tränen mehr hatte.
Die Fete fand nicht statt, ihre Eltern schickten die meist verständnisvollen Gäste wieder nach Hause.
Zwei Tage später gab ihr Vater den Golf wieder zurück. Carola weigerte sich , mit dem Auto zu fahren. Es erinnerte sie zu sehr an Bongos letzte Fahrt.
Seitdem hatte sie keinen Hund mehr besessen.
Der Morgen trieb wie eine Regenwolke an Carola Pütz vorbei. Dem vorbereitenden Gespräch mit Dr. Frerich folgte ein Gespräch mit Professor Wielpütz.
„Wir haben uns gestern sehr über ihr Fernbleiben gewundert, Frau Kollegin“, sagte der Professor. Seine Brille balancierte gefährlich auf seiner Nase, weil der rechte Brillenbügel vor dem Ohr klemmte. Irgendwie nahm ihm das sehr viel von seiner Ausnahmestellung als Gelehrter. Im Gegenteil, es machte ihn ein Stück menschlich, aber gleichzeitig gab es ihm etwas Dümmliches.
„Ich habe einfach verschlafen, Herr Professor.“
„Aber deshalb rechnen wir heute mit ihrer Teilnahme, Frau Doktor.“ Pütz hielt inne. Sollte Winterhalter einen Termin bei der Streetworkerin erhalten haben, dann würde sie den heutigen Nachmittag wieder außer Haus sein.
Wie sollte sie das dem Professor erklären?
Pütz rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.
„ Ich muss Ihnen etwas gestehen, Herr Professor.“
Wielpütz zog eine Augenbraue hoch. Die Brille geriet in akute Absturzgefahr.
„Ich höre, Frau Doktor.“
Pütz atmete durch und berichtete ihm von ihrer Obduktion in Plauen. Sie ersparte ihm die Details. Auch die Bedenken, die sie ihrerseits gehabt hatte. Ebenso verschwieg sie ihm, dass sie zu Anfang eine kleine Panikattacke erlebt hatte.
Wielpütz ließ sich ernüchtert in seinen Sessel sinken.
„Frau Doktor, ich muss Ihnen meine größten Bedenken mitteilen. Wenn Sie sich auf solche Eskapaden einlassen, gefährden sie aktiv Ihre Gesundheit. Jede Aufregung bedeutet Gift für Sie.“
Seine Stimme klang klein und resignierend. Er dachte zuerst, er hätte sich verhört. Doch je länger er Carola Pütz zugehört hatte, desto mehr war er zu der Erkenntnis gekommen, dass sich diese Patientin nicht in ihre Belange hineinreden lassen würde.
Er nahm seine Brille aus der Gefahrenzone und beugte sich auf dem großen Schreibtisch nach vorne. In dem Moment fiel ein Sonnenstrahl durch das Fenster. Er erhellte sein Gesicht. Der Professor wartete geduldig auf die Antwort seiner Patientin.
„Wie Sie wissen, hat sich die Polizei an mich gewandt. Ich konnte gar nicht nein sagen. Zudem war ich dabei, als die Kleine aus dem Pool geborgen wurde.“
„Und daraus konstruieren Sie die Verpflichtung , der Kleinen in den Tod zu folgen?“
Carola Pütz wischte sich eine Strähne aus der Stirn und warf ihren Kopf in den Nacken.
„Sicherlich nicht. Es ist mein Beruf, Tote zu ihrem Recht zu verhelfen.“
„Es ist meine Aufgabe, Menschen am Leben zu erhalten . Und Sie haben von mir ein Berufsverbot bekommen“, konterte der Professor.
Patt.
„Ich habe es der Toten versprochen.“ Pütz zog ihren letzten Pfeil aus dem Köcher.
Umsonst. Der Professor hatte überhaupt keinen Sinn für Sentimentalitäten.
„Was Sie irgendwelchen Toten versprechen, ist mir total egal. Solange, wie Sie in meiner Klinik verweilen, bin ich für Sie verantwortlich.“
Er legte die Brille vor sich auf den Tisch und kniff sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel. Dann kniff er die Mundwinkel zusammen und schaute Pütz
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