Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
Ernst? Was ist mit ihrer Berufsehre? Denken Sie an Watergate. Hätte es diese beiden Journalisten nicht gegeben, hätte das amerikanische Volk nie die Wahrheit erfahren.“
„Hier weiß das Volk aber Bescheid und schaut weg.“
Sein Blick streifte ihr Gesicht. Sie bemerkte es nicht. Ihre Gedanken schweiften bereits ab.
„Dann müssen wir ihm eine Geschichte präsentieren, bei de r es nicht mehr wegschauen kann“, antwortete sie und blickte an Winterhalter vorbei. Auf der anderen Seite des Sees hatte sie Taschenlampen entdeckt.
Waren die Tierschützer wieder unterwegs? Dann waren sie gestern erfolglos geblieben.
„Und wie wollen Sie das bewerkstelligen?“ Sie blickte zu ihm herüber für drei Sekunden, dann wandte sie den Blick wieder von ihm ab.
„Das überlasse ich Ihnen. Sie sind der Journalist.“
„Und Sie sind unverbesserlich, Frau Doktor.“
Er folgte ihrem Blick und sah, dass sie etwas auf der anderen Seite beobachtete.
„Was tun diese Menschen dort?“, fragte er, nachdem er die Lichtkegel am anderen Ufer des Sees bemerkt hatte.
„Sie suchen nach drei entlaufenen Welpen … wenn es dieselben Menschen sind, die ich gestern hier traf“, antwortete sie und Winterhalter bemerkte die Spannung in ihrer Stimme.
„Hunde? Was machen denn drei Welpen hier draußen? Wollen Sie hinüber gehen?“
„Ja, das würde ich gerne tun“, sagte sie und erhob sich von der Parkbank.
Pütz erklärte ihm mit ein paar Worten, dass die Umleitung, die sie ein paar Abende zuvor nehmen mussten, mit einem Unfall zu tun hatte, bei dem ein illegaler Hundetransporter verunglückte. Alle anderen Hunde waren bereits wieder eingefangen worden, bis auf diese drei Welpen. Dann erzählte sie ihm von ihrer abendlichen Begegnung mit den Tierschützern.
„Die Frauen haben versucht, sie mit Futter anzulocken. Die beiden Rüden kamen und fraßen, doch dann verschwanden sie direkt wieder. Sie sind vorsichtig, diese drei Hunde.“
„Sie haben schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, wie mir scheint.“
„Ja, so wird es wohl sein“, stieß sie hervor.
„Ebenso, wie unsere Zwillinge schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben.“
„Wie kommen Sie jetzt auf die Zwillinge?“
Pütz stapfte durch den frisch gefallenen Schnee. Sanft knirschte es unter ihren Stiefeln. Für eine ausgiebige Schneeballschlacht war es noch nicht genug. Doch, um die Pfotenabdrücke der Hunde sichtbar zu machen, war es ausreichend. Aufmerksam heftete sie den Blick auf den Boden.
„Weil Sie mir immer noch eine Antwort schuldig sind. Wie können wir eine ignorante Welt auf diese Situation aufmerksam machen?“
„Ebenso, wie diese Tierschützer auf die Hunde aufmerksam wurden. Sie sind mittlerweile sehr gut vernetzt, durch das Internet, wissen Sie. Es gibt auch genügend Kinderschutzorganisationen und ich wette, dass die wenigsten von dieser Situation hier an der Grenze etwas wissen.“
„Sie dürfen nicht vergessen, ich schreibe für eine Schweizer Zeitung. Wir würden einige deutsche Zeitungen benötigen.“
„Oder eine große deutsche Zeitung.“
Winterhalter blieb stehen. Pütz kümmerte sich nicht darum, sie schritt weiter voran.
„Nein, Sie meinen nicht ihr über alles verachtenswertes Revolverblatt mit den vier roten Buchstaben?“ , rief er ihr hinterher.
„Warum nicht?“ , fragte sie keck und drehte sich um.
„Weil das kein seriöser Journalismus ist.“
„Ich hätte nichts dagegen, Pest mit Pest zu bekämpfen.“
Winterhalter schob seinen linken Mundwinkel hoch.
„Danke für den netten Vergleich.“
„Immer wieder gerne.“
Die Neugier hatte sie gepackt. Sie wollte wissen, was die Tierschützer am Abend zuvor erreicht hatten. Daher hakte sie innerlich die Diskussion ab. Doch Winterhalter blieb noch darin verhaftet.
„Wenn wir wirklich die große deutsche Zeitung mit ins Boot nehmen, dann haben wir einen kurzfristigen und medienwirksamen Aufschrei der Entrüstung, aber Nachhaltigkeit sieht anders aus. Das kennt man doch von der Boulevard-Presse.“
Sein auf der ersten Silbe betontes Wort ‚Boulevard‘ verklang hinter ihr, Pütz hatte aber nur noch die Taschenlampen der Tierschützer im Blick.
„Wir hätten einen Anfang. Jetzt haben wir nur Stille. Was ist Ihnen lieber?“
Hören Sie, Frau Doktor. Ich habe das Gefühl, Sie machen es sich plötzlich ein wenig einfach.“
Sie blieb stehen. In Gedanken war sie bereits weiter weg. Daher brauchte sie einige Sekunden, bis sie ihre Antwort formulieren konnte.
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