Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
besaß dieser Ort nicht den Schrecken, wie für viele andere. Selbst die Tierschützer, die bisher jeden Abend dort verbracht hatten, hielten es für klüger, den See zu meiden. Daher suchten sie auch nicht mehr nach Marie.
Die Leute im Ort mieden den See, weil sich die Nachricht über den erneuten Mord wie ein Lauffeuer verbreitet hatte. Der ganze, sonst so seelenruhig schlummernde Kurort, war in helle Panik gehüllt.
Die Nebel waberten weiter durch den Ort, als Pütz sich über den Rosengarten dem See näherte. Der Nebel war so dicht, dass sie kaum mehr als zwanzig Meter weit schauen konnte.
Der Nebel verschluckte die Geräusche. Das Einzige, was sie hören konnte, war ein Plätschern. Marie zog wie wild an der Leine.
„Hey, Kleine, ich bin auch noch da!“, rief Pütz maßregelnd ihrem Hund zu. Marie zog unbeeindruckt weiter. Solange, bis sie neben einer Parkbank stehenblieb und ihr Näschen gegen den Mülleimer presste. Pütz konnte hören, wie laut sie schnüffelte.
„Aha, das war‘s also. Mülleimer plündern gehörte also auch zu eurem Repertoire. Das werden wir ändern müssen“, sagte sie und zog Marie mit einem energischen ‚Nein‘ weg von dem Mülleimer.
Der Welpe setzte sich sofort. Schuldbewusster Blick. Unwiderstehlich.
Der Hund hat Hunger.
Mit einem Mal stand Marie auf. Sie schaute in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren. Stocksteif. Der Hund fing an, zu knurren. Pütz wunderte sich. Aber nur für einen Moment. Mit einem Mal überfiel sie Panik. Nebel. Der Ort eines Mordes. Ein Hund, der etwas anbellt, was ihm nicht geheuer ist.
Ihr Mund wurde trocken, während sie nach einer plausiblen Antwort suchte.
„Marie, was hast Du? Spinn nicht rum“, sagte sie und versuchte, in dem Wattegespinst aus Nebelschwaden etwas zu erkennen.
Marie sprang in die Leine und bellte. Pütz fröstelte.
„Winterhalter? Sind Sie das?“ , krächzte sie in den Nebel hinein. Eine dämliche Frage, denn er konnte es unmöglich sein. Der stand noch unter der Dusche.
Der Welpe bellte weiter. Instinktiv. Zwischendrin winselte sie und kam zu Pütz, um sich zwischen ihren Beinen zu verstecken. Marie war kein Hund, der eine teure Ausbildung als Wachhund genossen hatte, sie verließ sich auf ihren Instinkt. Der hatte sie bisher beschützt. Dem vertraute sie auch gerade. Jetzt trat sie energisch nach vorne, ihr kleiner Körper spannte sich und aus dem Brustkorb des Welpen kam ein gutturaler Ton, den man dem kleinen Tier nicht zugetraut hätte.
Marie hatte eine Witterung aufgenommen. Eine Witterung, die sie bereits kannte. Mehrmals hatte sie diese Witterung schon wahrgenommen. Einmal hatte sie derjenige mit etwas beworfen, hier am See.
Zuletzt hatte sie diese Witterung letzte Nacht aufgenommen. Vor Carola Pütz Zimmer . Auf dem Flur.
*
Cheb
Das Einzige, was ihm an diesem Tag gelungen war, befriedigte ihn nun auch nicht mehr. Die erneute Lüge, die ihn nach Cheb gebracht hatte. Umsonst. Der Anruf kam um halb drei Uhr. Die Mutter des Mädchens mit den duftenden Haaren hatte erneut den Termin mit der Kleinen abgesagt. Sie hatte ihn wahrscheinlich belogen, als sie ihm mitteilte, ihre Tochter sei verschwunden.
Solche Ausreden hörte er nicht zu ersten Mal. Warum auch immer. Er konnte sich vorstellen, dass manche Eltern kalte Füße bekamen. Schließlich ging es um ihre Kinder. Die Not der Eltern trieb ihm die Mädchen in die Hände. Solche, wie die von gestern. Die ihn angespuckt hatte.
Daher suchte er jetzt nach etwas Jüngerem.
Daher strich er jetzt durch die verbotenen Gassen. Wo die Touristen nicht hingingen. Dort wo aber diese Kinder wohnten. Mit ihren Eltern, die sie Männern wie ihm anboten.
Eine Ewigkeit lief er schon durch die heruntergekommene Gegend. Er ertappte sich bei dem Gedanken, die Suche aufgeben zu wollen. Seiner Frau würde er wieder etwas von einer Sonderschicht erzählen. Von neuen Aufträgen, die er jenseits der Grenze generieren wollte.
Zwei Leben. Manchmal fragte er sich, welches davon die größere Lüge war. Alles hatte sich in der letzten Zeit in einem Ausmaß verändert, das er nie für möglich gehalten hatte. Eigentlich war alles unwahrscheinlich. Total unwahrscheinlich. Aber so war das Leben.
Seinen Audi hatte er natürlich auf einem Parkplatz abgestellt. Außerhalb der Gefahrenzone, in der er sich befand. Wenn er erwartet hatte, hier auf jemanden zu stoßen, der ihm dienlich sein wollte, dann wurde er enttäuscht. Die Straßen, auf denen sich die Kinder
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