Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
anboten, lagen woanders. Hier waren keine Touristen, hier lebten die Elenden.
Er beobachtete drei männliche Jugendliche, die schon mehrere Male auffällig zu ihm herübergeschaut hatten. Noch blieben sie stehen. Noch sah er nur ihre schwarzen Haare, nicht die finster dreinblickenden Gesichter. Von Überfällen auf Touristen hier hatte er noch nichts gehört. Nicht hier. In den Slums. Eher kam es in den Touristenschwärmen dann und wann zu Diebstählen. Wurden Handtaschen entrissen oder Portemonnaies gestohlen. Oder teure Kameras. Immer verschwanden die Diebe lautlos im Nichts.
Genau jetzt, wo er sich noch in Sicherheit wiegte, drehte sich eines der Gesichter zu ihm herum, dann ein Zweites. Als das Dritte folgte, blieb er stehen. Die Gesichter beobachteten ihn. Obwohl es schon dämmerte, konnte er etwas sehen, was ihm nicht gefiel.
Entschlossenheit. Einer der Drei gab den anderen ein Zeichen, sie setzten sich in Bewegung. Sah er Wut in den Gesichtern?
Der Mann blieb stehen. Solche Situationen kannte er nicht. Also hatte er auch keinen Vergleich parat. Befand er sich in Gefahr? Mit dem Rücken zu einem Hauseingang blieb er weiter stehen. Sollte er wegrennen?
Sinnlos, die Jugendlichen, alle um die Zwanzig herum, hätten ihn an der nächsten Hausecke eingeholt.
Er schätzte die Entfernung und verfluchte seinen Audi, der wohl und sicher auf dem Parkplatz stand. Dann verfluchte er seine Idee, hier hergekommen zu sein.
„Du Idiot“, hörte er sich sagen. Als er endlich losrannte, war es die buchstäblich letzte Sekunde. Eine Faust ballte seinen Magen zusammen.
Angst.
Weil er weder rechts noch links schaute, rannte er nach ein paar Metern in eine Person hinein, die aus einem der Häuser auf die Straße trat. Sie achtete auch nicht auf das, was um sie herum passierte.
Der Zusammenprall war heftig und ließ beide zu Boden fallen. Er murmelte eine Entschuldigung und wollte sich schnell wieder aufrappeln, denn die drei Männer waren bis auf ein paar Meter herangestürmt.
„Was machen Sie denn hier?“, fragte die Person. Er erkannte die Stimme, blieb den Bruchteil einer Sekunde auf allen Vieren und schaute in das erstaunte Gesicht der Mutter der kleinen Eliska.
„Sie?“, fragte er noch, aber im näc hsten Augenblick waren die jungen Kerle da. Der Erste zog ihn am Kragen und wirbelte ihn gegen die Hauswand. Die zwei anderen tasteten sofort mit geschickten Händen nach seinen Habseligkeiten.
Das taten die nicht zum ersten Mal.
Als die Stimme der Frau neben ihnen ertönte, hielten die Kerle inne. Was sie ihnen zurief, konnte er nicht verstehen. Es war kein Tschechisch. Es war wohl Rotwelsch, die Sprache der Roma.
Der Kerl, der ihn immer noch am Hals hatte, stieß etwas in der gleichen Sprache hervor und drückte ihn fester gegen die Hauswand.
Wieder gab die Frau einen Befehl. Der Griff lockerte sich, die beiden anderen traten einen Schritt zurück. Sein Portemonnaie flog vor ihm auf den Boden.
Der Kerl ließ ihn los und stellte sich jetzt drohend vor die Frau. Er wedelte mit seinem Zeigefinger vor ihrem Gesicht herum und sagte etwas, was nicht wirklich freundlich klang. Sie stieß die Hand beiseite und konterte mit nicht weniger feindseligen Worten. Der Kerl fuhr sich mit der Hand durch die Haare, nicht ohne vorher eine ruckartige Geste in Richtung der Mutter zu machen. Sie zischte ihm etwas nach.
Dann wandte sie sich plötzlich um. Er sah in ihr erregtes Gesicht.
„Verfolgen Sie mich?“, fragte in Aneta Kucera, Eliskas Mutter. Er strich sich mit einer hastigen Bewegung den restlichen Schnee von seinem Mantel.
„Nein, ich verfolge sie nicht“, antwortete er und er konnte nicht nur einen Funken Wahrheit in die Worte legen, sondern auch ein wenig Dankbarkeit daruntermischen. Wäre die Mutter nicht aufgetaucht, so hätte es für ihn übel ausgehen können. Die drei Jungs standen in einiger Entfernung und beobachteten ihn weiter.
„Und warum sind Sie dann hier?“
„Warum sollte ich denn nicht hier sein?“, fragte er und spürte, dass er ihr die Wahrheit eh nicht verheimlichen konnte. Sie kannte sie. Oder sollte sie kennen.
„Sie haben mich verfolgt. Tun Sie das nicht mehr!“, herrschte ihn die Frau an.
„Ich habe Sie nicht verfolgt. Ich bin rein zufällig hier. Aber was tun Sie hier?“, fragte er, um den Spieß umzudrehen. Eigentlich hätte er ihr danken sollen. Immerhin hatte ihr Zusammenprall ihm den Arsch gerettet. Doch die Worte kamen nicht über seine Lippen.
„Ich suche meine Kinder.
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