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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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ließ die Augen geöffnet. Er wollte sehen, wie die Bäume ihm entgegensausten. Er atmete tief ein, hielt die Luft an und sprang.

    »Miß Bette hat sich wieder selbst übertroffen.« Tess kostete das saftige dunkle Fleisch, das ihr Großvater tranchiert hatte. »Alles ist einfach großartig, wie immer.«
    »Nichts lieben die Frauen mehr, als viel Wirbel um eine Mahlzeit zu machen.« Der Senator goß dampfende Bratensoße über einen Berg sahnigen gelben
    Kartoffelbreis.
    »Ich war zwei Tage lang aus meiner eigenen Küche verbannt.«
    »Hat sie dich wieder beim Naschen erwischt?«
    »Sie hat mir angedroht, mich zum Kartoffelschälen zu verdonnern.« Er häufte Essen auf seine Gabel, schluckte es herunter und grinste. »Miß Bette hat sich nie der Ansicht anschließen können, daß ein Mann das Recht hat, in seinen eigenen vier Wänden unbehelligt zu bleiben.
    Nehmen Sie doch noch etwas Füllung, Detective. Man hat nicht jeden Tag die Gelegenheit, so zu schwelgen.«
    »Danke.« Da der Senator ihm die Schüssel hinhielt, blieb Ben nichts anderes übrig, als sie zu nehmen. Er hatte bereits zwei Portionen gegessen, doch es war fast unmöglich, sich dem freundlichen Drängen des Senators zu widersetzen. Nachdem er eine Stunde in Gesellschaft von Senator Writemore verbracht hatte, stellte Ben fest, daß der alte Mann vor Leben sprühte, physisch wie auch geistig. Seine Ansichten waren hart wie Granit, seine Geduld gering, und in den Händen seiner Enkelin war er ganz offenkundig weich wie Wachs.
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    Was Ben erleichterte, war die Tatsache, daß er sich nach jener Stunde nicht annähernd so unbehaglich fühlte, wie er erwartet hatte. Zunächst hatte das Haus ihn verunsichert.
    Von außen hatte es lediglich unauffällig elegant und distinguiert gewirkt. Im Innern hatte man den Eindruck, als mache man in einer Kabine Erster Klasse eine Weltreise. Auf den schwarzen und weißen
    Fußbodenfliesen der Eingangshalle lagen persische Teppiche, die gerade verblichen genug waren, um zu zeigen, wie alt und strapazierfähig sie waren. Unterhalb der weit ausschwingenden Treppe stand ein fast mannshoher Schrank aus Ebenholz, der prachtvoll mit Pfauen bemalt war.
    Im Salon, wo ihnen vor den Dinner ein schweigsamer Orientale Drinks serviert hatte, flankierten zwei Louis-Quinze-Sessel einen langen Rokokotisch. In einem Schränkchen mit gravierter Glasfront befanden sich allerlei Kostbarkeiten aus farbigem venezianischen Glas, das fast so dünn war, daß man dadurch lesen konnte. Ein gläserner Vogel fing den Schein des Kaminfeuers auf und warf ihn zurück. Der weiße Marmorkamin wurde von einem Porzellanelefanten bewacht, der die Größe eines Terriers hatte.
    Es war ein Raum, der das Selbstverständnis des Senators und, wie Ben zu Bewußtsein kam, auch das von Tess widerspiegelte. Wohlhabenheit, Kunstverständnis und Geschmack. Sie hatte in ihrem blaßvioletten Kleid auf dem dunkelgrünen Brokat des Sofas gesessen, wodurch ihre Haut förmlich zum Leuchten gebracht wurde. Um ihren Hals schmiegte sich das Perlenhalsband, dessen Edelstein im Licht glitzerte und funkelte.
    Ben fand, daß sie noch nie so schön ausgesehen habe.
    Auch im Eßzimmer brannte ein Feuer im Kamin, dessen leises Knistern und Knacken die Mahlzeit begleitete. Licht 386
    kam von den Prismen des mehrstufigen Kronleuchters, der über dem Tisch hing. Zart getönte Teller aus Wedgewood-Porzellan, schweres, funkelndes georgianisches Silber, Gläser aus Baccarat-Kristall, die darauf warteten, mit kühlen Weißwein und sprudelndem Wasser gefüllt zu werden, irisches Leinen, das weich genug war, um darauf zu schlafen. Die Schüsseln und Platten waren überreich gefüllt. Austern à la Rockefeller, Truthahnbraten, Gemüse mit zerlassener Butter, frische Hörnchen und vieles andere mehr; das Aroma des Essens vermischte sich aufs köstlichste mit dem Duft von Kerzen und Blumen.
    Während der Senator den Truthahn tranchierte, hatte Ben an die Erntedankmahlzeiten seiner Kindheit zurückgedacht.
    Weil sie immer mittags statt abends gegessen hatten, waren ihm schon beim Erwachen die verführerischen Düfte des in der Ofenröhre brutzelnden Truthahns, von Salbei, Zimt und der Wurst, die seine Mutter angebräunt und mit der Füllung vermengt hatte, in die Nase gestiegen.
    Der Fernseher war während der Macy-Parade und der Footballübertragung angeblieben. Es war einer der wenigen Tage des Jahres, an denen er oder sein Bruder nicht dazu abkommandiert wurde, den Tisch zu decken, da es ihrer

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